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Samstag, 23.08.2008

Georgien-Konflikt: Es gibt Schlimmeres als Isolation

Russland zeigt wieder Flagge - nicht nur in Südossetien und Abchasien, nicht nur mit der Schwarzmeerflotte, sondern auf allen Weltmeeren. (Foto: Archiv)
Wolfgang Seiffert, Hamburg. Die erste Konsequenz aus dem Georgien-Konflikt lautet: Das wieder erstarkte Russland wird auch künftig seine legitimen Interessen verteidigen – selbst gegen den Willen des Westens.
„Der Aggressor ist bestraft und hat bedeutende Verluste erlitten, seine Streitkräfte sind desorganisiert. Das Ziel ist erreicht. Die Sicherheit von Zivilisten und Blauhelmsoldaten gewährleistet.“ Mit diesen Worten brachte der russische Präsident Dmitri Medwedew beim Besuch des französischen Amtskollegen Nicholas Sarkozy die Moskauer Position im Georgien-Konflikt auf den Punkt.

Auch der Sechs-Punkte-Friedensplan, den Medwedew zuvor formuliert hatte (der nach Vermittlung des EU-Ratspräsidenten von Georgien angenommen wurde) lässt Russland als Sieger dastehen. Denn die georgischen Streitkräfte müssen sich „auf ihre üblichen Stationierungsorte zurückziehen“.

Die russischen Streitkräfte sollen sich zwar ebenfalls auf die Linien vor Beginn der Feindseligkeiten in Südossetien zurückziehen. Doch „in Erwartung eines internationalen Mechanismus werden die russischen Friedenstruppen vorläufig zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen ergreifen“.

Auch der sechste Punkt, der die „Eröffnung internationaler Diskussionen über die Modalitäten der Sicherheit und Stabilität in Abchasien und Südossetien“ vorsieht, lässt sich ebenfalls ganz im Moskauer Sinne interpretieren.

Einen „EU-Friedensplan“ hat es nicht gegeben und konnte es nicht geben

Einen „EU-Friedensplan“ hat es hingegen nicht gegeben und konnte es auch nicht geben, weil dazu die Einstimmigkeit der 27 Mitgliedsstaaten erforderlich wäre. „Es ist lächerlich, von einer gemeinsamen Politik der Union gegenüber Moskau zu sprechen“, erklärte Lech Kaczyński mit bemerkenswerter Offenheit in der Warschauer Rzeczpospolita.

Polen will eine MOE-Fraktion in der EU

Der polnische Präsident, der mit seinen Amtskollegen aus den baltischen Staaten und der Ukraine eine „Solidaritätsreise“ nach Tiflis unternommen hatte, will sogar einen neuen Block mittel- und osteuropäischer Länder initiieren, um unter Führung Warschaus die EU-Russland-Politik in seinem Sinne zu beeinflussen.

Denn Sarkozy habe diese Länder nicht in seine Vermittlungen einbezogen. Dabei bedürfte selbst die Entsendung von EU-Beobachtern eines UNO-Mandats, wie Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner zurecht hervorhob. Doch das hängt von der Zustimmung der Vetomacht Russland ab.

Merkel: Goergien darf in die NATO - irgendwann

Auch die von Angela Merkel bei ihrem Besuch in Georgien gemachte Aussage, „Georgien wird, wenn es das will, Mitglied der Nato werden“, sollte nicht ohne die Ergänzung der Kanzlerin zitiert werden, zugleich gelte weiterhin, was auf dem Nato-Gipfel in Bukarest vereinbart worden sei. Im April waren nämlich Georgien, Mazedonien und die Ukraine in den Membership Action Plan (MAP) aufgenommen worden – aber ohne ein konkretes Beitrittsdatum zu nennen.

Saakaschwili hat sich verschätzt. Die NATO hilft nicht

Die größte Fehleinschätzung traf allerdings der georgische Präsident Micheil Saakaschwili, als er glaubte, durch einen militärischen Angriff auf Südossetien die aufgrund eines aus dem Jahre 1995 stammenden Stationierungsabkommens dort befindlichen russischen Blauhelmsoldaten und auch sonst alles Russische vertreiben zu können.

Seine größte Illusion war die Hoffnung, die USA und andere Nato-Staaten würden Georgien mit eigenen Truppen „Hilfe leisten“.

Und unabhängig vom konkreten Anlass hat die Reaktion Russlands im Georgienkonflikt einen tiefer gehenden Hintergrund: das völkerrechtswidrige Verhalten der USA im Kosovo-Konflikt sollte nicht ohne Antwort bleiben.

Georgische Militäraktion passt sehr gut zum amerikanischen Wahlkampf

Auch der Zeitpunkt der Militäraktion – wenige Monate vor der Wahl eines neuen US-Präsidenten der USA – passt dank Saakaschwilis Provokation ins russische Konzept. Von Georg W. Bush weiß man, dass er wegen seiner Orientierung auf die Verhinderung einer Atommacht Iran das Verhältnis zu Russland nicht grundsätzlich in Frage stellen wird.

Obama ein Feind Russland?

Den demokratischen Präsidentschaftsbewerber Barack Obama hingegen hält man in Moskau für einen Feind Russlands, der sich finanziell auf den US-Milliardär George Soros und ideologisch auf die Ratschläge des polnisch stämmigen früheren US-Sicherheitsberaters Zbigniew Brzeziński stütze.

Nach den US-Wahlen weitere Verschärfung

Gleichwohl geht man in Moskau davon aus, das der Republikaner John McCain das Rennen macht. Dessen dezidiert antirussischer Kurs bringe eine weitere Verschärfung. Warum also sollte man bis nach den Wahlen in den USA warten?

Dies alles sollte Anlass sein, die Dinge endlich so zu sehen, wie sie wirklich sind: Russland ist nach dem Ende der Sowjetunion und den chaotischen neunziger Jahren wiederauferstanden, als ein Land das wirtschaftlich potent und militärisch handlungsfähig seine legitimen Interessen in den Grenzen des Völkerrechts entschieden wahrnimmt.

Der Westen muss die Realität der Potenz Russlands anerkennen

Nur wenn der Westen dieser Realität entsprechend seine Beziehungen zu Moskau gestaltet, kann es in Europa Frieden und Sicherheit auf Dauer geben.

„Es gibt kein einziges entscheidendes Problem in der Weltpolitik und in der Weltökonomie, das ohne Russland zu lösen wäre“, erklärte Gerhard Schröder im Spiegel. Europa könne nur dann eine wirkliche Rolle im Kontext zwischen Amerika und Asien spielen, wenn es enge Beziehungen zu Moskau gäbe. Denn „Russland hat eine asiatische Alternative, Europa hat sie nicht“, so der Altkanzler. Und das gilt nicht nur für Rohstoff- und Energiefragen.


Gastkommentar von Wolfgang Seiffert, Hamburg

Prof. Dr. Wolfgang Seiffert war bis 1994 Direktor des Instituts für osteuropäisches Recht der Universität Kiel und lehrte danach am Zentrum für deutsches Recht der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau.


Kommentare geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

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