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Mascha und Ada wollen die Ehe schließen und Kinder bekommen - in Russland eine Utopie! (Foto: Brammerloh/.rufo)
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Donnerstag, 24.05.2012

Nach dem Schwulengesetz: „Wir wollen uns mehr zeigen!“

Susanne Brammerloh, St. Petersburg. Wie leben Schwule und Lesben nach der Annahme des skandalösen „Schwulengesetzes“ Warum wurde es gerade in Petersburg erlassen? Hier gibt es Einblicke in und Hintergründe zu diesen Fragen.

Schwule und Lesben haben es in Russland wahrlich nicht leicht. In der russischen Gesellschaft herrschen mehrheitlich Homophobie und Ressentiments vor. Umfragen von Meinungsforschern zeigen: Mehr als drei Viertel der Bürger begrüßen das Verbot der „Propaganda von nichttraditionellen sexuellen Beziehungen“.

Und das, obwohl fast niemand jemals damit konfrontiert wurde und die meisten Schwule und Lesben eh nur aus dem Fernsehen kennen. Nur sechs Prozent der Russen sprechen sich gegen das diskriminierende Gesetz aus, das bald sogar landesweit erlassen werden könnte.

Ein Satans-Treiben?


Die Vorurteile sitzen tief. Der „Schwulenparagraf“ 121 wurde erst 1993 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen, und seitdem wird in der Staatsduma immer wieder über seine Wiedereinführung diskutiert. Wortführer sind bei diesen Debatten meist Kommunisten oder Rechtsliberale. Eine weitere Nuance: zwischen 2001 und 2008 durften Schwule kein Blut spenden. Das Verbot setzte sie mit „Prostituierten und Drogenabhängigen“ gleich.

Die russisch-orthodoxe Kirche schwingt sich ganz besonders gern zum Moralapostel auf. Gleichgeschlechtliche Liebe ist für sie „Unzucht und Zersetzung der öffentlichen Moral“. Als Mitte der 2000er Jahre in Moskau eine Bewegung für Schwulenparaden aufkam, bezeichnete der damalige Oberbürgermeister Juri Luschkow die schwulen Straßenumzüge als „Satansshow“.

Bei Russland-Aktuell
• SPB: Angriff auf Schwulen-Aktion trifft Gastarbeiter (17.05.2012)
• Erstes Urteil wg. „Schwulenpropaganda“ in Petersburg (04.05.2012)
• Moskauer Duma debattiert umstrittenes Schwulengesetz (19.04.2012)
• Anti-Schwulen-Gesetz jetzt auch in die Duma eingebracht (29.03.2012)
• Petersburg stellt „Schwulenpropaganda“ unter Strafe (29.02.2012)
Das Verbot der Gay Prides gelte für „immer und ewig“, posaunte das Stadtoberhaupt heraus. Tatsächlich ist es bis heute nicht gelungen, in der russischen Hauptstadt legal eine Schwulenparade durchzuführen – daran hat auch der 2010 vollzogene Machtwechsel im Rathaus nichts geändert.

Nun wurde ausgerechnet in St. Petersburg, der Hochburg der russischen Gays, ein skandalöses Gesetz gegen „Schwulenpropaganda“ angenommen, das weltweit für Proteste sorgte. Es zieht faktisch das Verbot des öffentlichen Auftritts, selbst das Zeigen der Regenbogenfahne nach sich. In Petersburg gab es schon mehrere Verhaftungen.

Bezeichnend für die allgemeine Stimmung in Russland ist, dass im Gesetzestext Homosexualität mit Pädophilie gleichgesetzt wird.

Petersburg ist Gay-Hauptstadt Russlands


Soweit zum Hintergrund. Was denken aber die von dem Gesetz Betroffenen? Ich treffe mich mit sieben Lesben und einem Schwulen, die nur wenige Schritte von Petersburgs Prachtmeile, dem Newski Prospekt, entfernt in einer Wohngemeinschaft leben.

In dem reichlich heruntergekommenen uralten Haus teilen sie sich eine ehemalige „Kommunalka“ (eine Gemeinschaftswohnung, in der in jedem Zimmer eine andere Partei wohnt und sich alle Bad und Küche teilen). Dort versuchen sie ihr Lebensmodell zu leben, das, wie wir erfahren haben, bei den meisten ihrer Mitbürger immer noch Unverständnis oder gar kategorische Ablehnung hervorruft.

Natürlich gibt es Treffpunkte von Schwulen und Lesben – hinter den verschlossenen Türen von Clubs sind sie mehr oder minder ungestört. Das trifft aber nur auf die beiden größten Städte Russlands zu. Im südrussischen Krasnodar wurden z. B. unlängst zwei Clubs geschlossen. Dort sei eine öffentliche Zurschaustellung des „Andersseins“ geradezu gefährlich, erzählt Polina.

Sie ist nach Petersburg gezogen, weil dort die Freiheit für Schwule und Lesben immer noch am größten ist. Sie weiß auch, warum gerade hier ein Gesetz gegen „Schwulenpropaganda“ erlassen wurde: „Petersburg ist die Gay-Hauptstadt Russlands und damit ein mächtiger Anziehungspunkt. Das Gesetz ist ein gezielter Schlag, um die Leute abzuschrecken und fernzuhalten.“

Bleiben oder gehen?


Auf die Frage, ob sie jetzt Angst habe, auf die Straße zu gehen, weil jede öffentliche Kundgebung unter das „Schwulengesetz“ fallen könnte, sagt sie: „Das Gesetz löst bei vielen das Gegenteil aus. Wir wollen uns jetzt noch mehr zeigen. Damit die Leute endlich verstehen, dass wir keine Missgeburten sind. Die Homophoben stellen uns ja gerade so hin, als würden wir Leute überfallen und vergewaltigen.“

Aber viele überlegen nun auch, ob es nicht besser wäre, ins Ausland zu gehen und um politisches Asyl zu bitten. Das betrifft besonders Paare, die heiraten und Kinder haben wollen. Mascha und Ada, die auch in der WG wohnen, träumen zum Beispiel davon, eine richtige Familie zu gründen. Sie möchten das aber in Russland versuchen, weil sie sich als Patriotinnen ihres Landes verstehen.

Mascha sieht die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe übrigens als eine mögliche Lösung für die demographischen Probleme Russlands: „Das löst sofort einen Babyboom aus, weil alle erst zum Standesamt laufen und dann Kinder kriegen werden.“

Das würde Russland, das unter eklatantem Bevölkerungsschwund leidet, in die richtige Richtung führen. Die derzeitige vorherrschende Homophobie verweist solche Ansätze aber (noch?) in das Reich der Utopie.



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