 Von Karsten Packeiser, Moskau. Ein kleiner Aushang über der Haussprechanlage bestimmt mehrere Wochen lang das Leben in dem zwölfstöckigen Wohnblock im Nordwesten Moskaus. „Liebe Bewohner“, heißt es auf dem Zettel, „im Zusammenhang mit prophylaktischen Arbeiten an den Wärmenetzen wird in Ihrem Haus vom 16. Juni 9 Uhr bis zum 9. Juli 24 Uhr das warme Wasser abgestellt“.
Kalte Duschen im Sommer gehören zum russischen Alltag wie Pelzmützen im Winter oder das saure Gürkchen nach dem Wodka. Immer mehr Menschen zweifeln allerdings am Sinn ihrer Entbehrungen.
Der Energieversorger Mosenergo beginnt jedes Jahr im Mai damit, der russischen Metropole Stadtviertel für Stadtviertel das warme Wasser abzudrehen. Wasser zum Waschen, Duschen oder zum Wäsche waschen müssen die Einwohner dann mehrere Wochen lang umständlich auf dem Herd erhitzen. Wer keine öffentliche Badeanstalt in seiner Nähe hat, fährt für ein Bad zu Freunden oder den Schwiegereltern. „Das ist die schlimmste Zeit des Jahres“, stöhnt die Lehrerin Irina. „Vor allem mit Kind ist es wirklich schwierig, diese drei bis vier Wochen zu überbrücken.“
Empfindliche Zeitgenossen wollen gar bemerkt haben, dass die Pendler in der U-Bahn während der kritischen Kaltwasser-Wochen bei weitem nicht so frisch riechen wie gewöhnlich. In der Hauptstadt dauert der Spuk planmäßig drei Wochen, in der Provinz zuweilen sogar den ganzen Sommer.
Reparaturarbeiten im Winter viel unangenehmer
Dafür, dass im Gegensatz zu allen anderen Ländern Europas derartige Arbeiten in Russland notwendig sind, hat der Moskauer Energieversorger Mosenergo zwei Erklärungen. Zum einen liege es an den riesigen Fernwärmenetzen, wie es sie nur in der ehemaligen Sowjetunion gebe, zum anderen an den deutlich härteren Klimaverhältnissen. „Reparaturarbeiten an den Heizungsund Warmwassernetzen wären im Winter viel unangenehmer“, sagt Mosenergo-Sprecher Michail Korotkow.
Mit solchen Erklärungen wollten sich die Mitglieder einer Initiativgruppe nicht zufrieden geben. Sie planten, die Energieversorger mit Hilfe einer Volksabstimmung dazu zu zwingen, die Warmwasserversorgung für höchstens drei Tage im Jahr zu unterbrechen. Experten, die aus Angst um ihren Job anonym bleiben wollten, hätten versichert, die prophylaktischen Arbeiten an den Rohren würden in Wirklichkeit ganze drei Stunden dauern.
„Die Leute sitzen drei Wochen ohne warmes Wasser da, weil irgendwelche Beamte ihre Arbeit nicht koordinieren können“, sagt Konstantin Lasarew, Sprecher der bei den Wahlen im März gescheiterten liberalen Präsidentschaftskandidatin Irina Chakamada. Besonders ärgert die Initiatoren der Abstimmung auch die Tatsache, dass die Moskauer im Sommer auch noch die Rechnungen für das nicht gelieferte warme Wasser bezahlen müssen.
Die städtische Wahlkommission weigerte sich indes Anfang Juni, das Referendum zuzulassen. Mosenergo schätzt, dass sich zumindest in den kommenden zehn Jahren nichts an der derzeitigen Praxis ändern wird. Auf das sommerliche Abschalten des warmen Wassers könne nicht verzichtet werden. Ansonsten müssten, von einigen Neubauvierteln abgesehen, sämtliche Wasserrohre in Moskau ausgewechselt werden. Diese Aufgabe stehe in den kommenden Jahren allein schon wegen Geldmangels nicht auf der Tagesordnung. „Wir müssten dazu außerdem die ganze Stadt umgraben“, so Mosenergo-Sprecher Korotkow.
(epd)
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