Moskau. Von Caroline Uhlig. Ehrlich gesagt: Kraftwerk sind schon ganz schön abgefahren. Mit dem Repertoire aus 30 Jahren Knöpfe drehen, startet die konzertante Reise in Richtung Computer-Welt. Am Donnerstagabend konnte erstmals seit 30 Jahren rund 6000 Zuschauer in Moskau an den elektrisierenden KRAFTWERK-Schwingungen teilhaben.
Mit gut einer dreiviertel Stunde Verspätung begann das Konzert im Moskauer Sportpalast „Luschniki“. Als das Licht erlosch und eine metallene Stimme „Meine Damen und Herren, Ladies and Gentlemen, heute Abend aus Deutschland, die Mensch-Maschine KRAFTWERK!“ verkündete, war es endlich soweit: Der Vorhang öffnete sich für vier Keyboards, vier Notebooks und die Düsseldorfer Väter des Techno, House und Industrial.
Als wären sie selbst nur Statisten, stehen die vier PC-Spezialisten Ralf Hütter, Florian Schneider, Fritz Hilpert und Henning Schmidt unbeteiligt und regungslos auf der Bühne. Einzig die riesige Videoleinwand, auf der in buntem Stilmix allerlei Film- und Animationsmaterial flimmert, ist in Bewegung. Die visuelle Inszenierung ist eine gelungene multimediale und synästhetische Ergänzung der KRAFTWERK-Musik.
Klang und Bild verschmelzen bei allen Songs zu einer perfekten Einheit. Bei „Tour de France“ radelt der Zuschauer durch die französische Bergwelt, lernt bei „Trans Europa Express“ die deutschen Schienennetze kennen und fährt später mit dem VW-Käfer auf der „Autobahn“. Als zum Titel „Vitamin“ ein bunter Pillenregen über die Leinwand rieselt, sind die Zuschauer zum ersten Mal lautstark glücklich. Vollkommene Zuschauer-Eudämonie erreichen die KRAFTWERKer mit dem Elektropop-Klassiker „Das Modell“ und dem in russischer Sprache vorgetragenen „Roboter“.
Auch wenn die KRAFTWERK-Performance ohne jegliche Kommunikation zwischen Publikum und Musikern auskommen musste, auch wenn nichts wirklich Aufregendes passierte, war das Konzert doch ein Erlebnis. Es ist auf eine Art der Mythos Kraftwerk, der Schauer über den Rücken jagt. Es ist aber auch diese vorsätzlich generierte futuristisch kalte Roboterwelt, die da Fürchten lehrt.
Die grundlegende Auseinandersetzung von KRAFTWERK beschreibt das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine. Bei der ersten Pressekonferenz seit 23 Jahren beschrieb Chef-KRAFTWERKer Ralf Hütter das Problem am Beispiel Radfahren wie folgt: „Die Harmonie der physiologischen und psychischen Einheit des Menschen mit der Technik fasziniert und inspiriert uns immer wieder.“ Das sie tatsächlich eine Einheit mit der Technik bilden, zeigen die Musiker ganz deutlich mit ihrem Roboter-Image. Ihre Zweitpersönlichkeiten übernahmen am Ende des Konzertes auch die Zugaben.
Das Konzert war eine Art religiöse Andacht für das mythische Gesamtkunstwerk KRAFTWERK. Sicher sind die vier Düsseldorfer Kult, Elektro-Kult sozusagen. Status und Image haben die Musiker durch die Zeit getragen und garantieren ihnen auch heute noch Zulauf bei Konzerten. Doch die elektronische Musik ist vielfältiger und bunter geworden und all diesen Strömungen können die Düsseldorfer nicht mehr Herr werden.
Vielleicht ist dies gerade der Faktor, der sie sich selbst als Kult-Stars inszenieren lässt. Vielleicht sind sie aber auch so sehr in ihrem Roboter-Image erstarrt, dass ihnen Entwicklungsoptionen verschlossen sind.
|