 St. Petersburg. Das kleine, glitschige Fischlein wird seit ein paar Jahren als Symbol der Stadt gehandelt. Nicht das Schiff auf dem Turm der Admiralität und auch nicht der Eherne Reiter – die scheinen out zu sein. Gefragt ist Volksnähe, und da passt die Korjuschka, wie der Ostseebewohner auf Russisch heißt, ganz hervorragend ins Bild. Am kommenden Sonntag wird er in der Festung gefeiert. Ein Wermutstropfen – der Stint ist dieses Jahr so teuer, dass Ottonormalverbraucher ihn sich nicht leisten kann.
Jedes Jahr im Frühling kommt der Stint zum Laichen aus der Ostsee in den Finnischen Meerbusen. Am Ufer bei Wyborg und Sestrorezk legt er seine Eier ab und tritt dann in die Newa ein. Und dort ziehen die Angler ihn massenweise aus dem Wasser. Besonders dicke Exemplare beißen übrigens an der Leutnant-Schmidt- und der Wolodarski-Brücke an, sagen die Kenner.
Ist es ein gutes Jahr, so teilt den Petersburgern bereits ihre Nase die Ankunft des Stints mit. Der kleine Fisch, feilgeboten an jeder Straßenecke, verbreitet nämlich einen unverwechselbaren Geruch, der ein wenig an Gurken erinnert. Riecht es in der Stadt nach frischen Gurken, ist die Korjuschka da.
Dieses Jahr riecht es nicht, was kein Wunder ist, denn die Tendenz zur Abnahme der Fänge nimmt mit jedem Jahr zu. Waren es vor wenigen Jahren noch 3.000 Tonnen pro Saison, so zogen die Fischer 2002 lediglich 334 Tonnen und 2003 nur noch 167 Tonnen an Land. Die Folge: Ein Kilo Stint kostet zwischen 80 und 140 Rubel. Der Volksfisch wird so zur Delikatesse, und trotz der hohen Preise fahren die Fänger nur Verluste ein.
Für 2004 werden höchstens 70 Tonnen Ausbeute prognostiziert. Der Grund für den Rückgang der Korjuschka liegt nach Expertenmeinung an den ungünstigen Winden und der von ihnen hervorgerufenen Strömung. Damit die Korjuschka nach Petersburg kommt, braucht es nämlich Westwinde. Und überhaupt durchläuft der Zyklus der Fischvorräte in der Ostsee im Moment seinen niedrigsten Punkt. Ab 2006 soll es wieder aufwärts gehen mit dem Stint.
Die Petersburger wollen ihrem Kulttierchen trotzdem huldigen. Dafür wurde der 16. Mai, also der kommende Sonntag, zum „Tag der Korjuschka“ erklärt. In der Peter-Paul-Festung wird von 12 bis 18 Uhr Stint (roh, gebraten, gedörrt und eingelegt) angeboten. Im Programm sind u.a. Konzerte und Bootsrennen auf der Newa, ein Gedicht-Wettbewerb rund um den Stint, Karussells und ein Künstlermarkt, eine kulinarische Show und ein Lichtspektakel auf dem Wasser.
Wem der Weg in die Festung zu weit ist, kann sich an den Metrostationen auf dem Newski mit gebratener Korjuschka eindecken. Trotz des Mangels soll der Stint am Sonntag für alle reichen. Versprochen sind auch sehr „demokratische“ Preise – damit das Volksfest auch wirklich eines für das Volk wird.
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