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Derartig radikales Radeln ist in Russland nicht erwünscht (foto: caravan2006.outra.net) |
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Dienstag, 11.07.2006
Deutsche G8-Gegner zu zehn Tagen Haft verurteiltSt. Petersburg. Ein Petersburger Gericht hat zwei mit dem Fahrrad aus Berlin angereiste deutsche G8-Gegner für die Zeit des Gipfels aus dem Verkehr gezogen: Wegen angeblichen wilden Pinkelns müssen sie zehn Tage in Haft.
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Russlands Behörden legen vor dem G8-Gipfel in St. Petersburg eine ebenso präventive wie einschüchternde Linie zur Verhinderung von Demonstrationen oder Protesten an den Tag indem anreisende wie einheimische G8-Gegner schlichtweg für die Zeit des Gipfels verhaftet werden. Nach Darstellung einer Webseite russischer Anti-G8-Aktivisten hat sich derartiges in den letzten Tagen bereits zu Dutzenden ereignet.
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Die Verhaftung der beiden Bielefelder Studenten Henning Wallerius und Eike Korfhage ist der erste Fall, dass die russischen Behörden aktiv gegen ausländische G8-Gegner vorgingen ungeachtet der Tatsache, dass diese sich noch gar nicht an irgendwelchen Protestaktionen gegen die am Samstag beginnende Polit-Veranstaltung beteiligen konnten.
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Protest nur in engem Rahmen gestattet
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Die dabei an den Tag gelegten polizeistaatlichen Willkürmaßnahmen stehen in einigem Widerspruch zu den Versicherungen der Stadt- wie der Kremlführung, dass G8-Kritiker und NGOs zumindest auf dem Gelände des Kirow-Stadions ungehindert Veranstaltungen und Versammlungen abhalten dürfen. Das Stadion soll anschließend abgerissen werden, um einem Neubau Platz zumachen. Ein von dem lockeren Bündnisses aus Antiglobalisten, Anarchisten und Umweltinitiativen geplanter Demonstrationszug durch die Stadt wurde hingegen nicht genehmigt.
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Wallerius und Korfhage verbrachten bereits zwei Nächte in Polizeigewahrsam, bevor sie am Dienstag von einem Petersburger Gericht zu zehn Tagen Haft verurteilt wurden. Ihr angebliches Vergehen: Sie sollen gegen ein nicht näher bezeichnetes Auto uriniert haben.
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Passkontrolle Festnahme Verurteilung
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Nach eigener Darstellung hätten sie lediglich nach dem WM-Endspiel noch zehn Minuten vor einem Petersburger Hauseingang gesessen, wo sie bei einem russischen Gesinnungsgenossen untergekommen waren. Dann sei eine Polizeistreife aufgetaucht, hätte ihre Pässe nach einer Kontrolle einbehalten und sie samt eines russischen Freundes auf ein Polizeirevier gebracht.
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Wie Wallerius nach seiner Verurteilung am Dienstag telefonisch gegenüber russland-aktuell berichtete, hätten sich die in der Verhandlung aufgebotenen Zeugen grob widersprochen. Obwohl ihr von einem Juristen-Team der G8-Gegner organisierter Verteidiger die Vorwürfe geradezu demontiert habe, hätte das Gericht auf zehn Tage Haft entschieden. Meist wird eine derartige Ordnungswidrigkeit, so sie denn überhaupt geahndet wird, in Russland mit einem Bußgeld von maximal 500 Rubel (ca. 15 Euro) belegt.
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Auf der Polizeiwache hätten sie zunächst 13 Stunden ohne Getränke und Verpflegung zugebracht, bevor sie zu einem Gericht gefahren wurden. Da dort keine Verhandlung zustande kam, wurde ein anderes Gericht aufgesucht, dass die Verhandlung jedoch vertagte und die beiden frei ließ. Wieder an der Wohnung angekommen, wurden wir dort vor der Tür erneut von Polizisten empfangen, so Wallerius.
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Auch ein Schweizer wurde festgenommen
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Nach einer Durchsuchung der offenbar einschlägig bekannten Wohnung mussten sie ihre Sachen packen und mit ihren Fahrrädern unter Polizei-Eskorte auf die Wache radeln. Ein Schweizer Mitstreiter, der sich die ganze Zeit nur in der Wohnung aufgehalten habe, sei ebenfalls festgenommen worden.
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Methoden aus dem Lukaschenko-Staat
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Offenbar greifen die russischen Ordnungshüter im Vorfeld des Gipfeltreffens der wirtschaftlich führenden demokratischen Staaten so die Eigendefinition des G8-Kreises auf Erfahrungen aus Weißrussland zurück: Die Behörden des Lukaschenko-Regimes hatten vor und nach der umstrittenen Präsidentenwahl im Frühjahr zahlreiche Oppositionelle von der Straße weg verhaftet und für zehn bis 15 Tage einsperren lassen. Begründet wurde die Urteile zumeist mit angeblichen ungebührlichen Benehmens wie Fluchen oder Urinieren in der Öffentlichkeit was beflissene Polizisten dann auch immer eifrig bezeugten.
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Wallerius und Korfhage waren Anfang Juni in Berlin im Rahmen einer Anti-G8-Fahrradkarawane durch Polen und das Baltikum aufgebrochen. Allerdings seien nur drei der ursprünglich aufgebrochenen 20 Teilnehmer letztlich auch über die russische Grenze geradelt und von russischen Kontaktleuten empfangen und untergebracht worden. Wallerius wollte nach eigener Aussage an dem im Kirow-Stadion geplanten Sozialforum teilnehmen und als Fotograf die Geschehnisse um den G8-Gipfel dokumentieren.
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Deutsches Konsulat zeigte Präsenz vor Gericht
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Das deutsche Generalkonsulat in St. Petersburg ist über die Inhaftierung informiert und schickte auch Mitarbeiter zu der Gerichtsverhandlung. Die Vertretung wollte den Vorgang jedoch weder kommentieren noch näher erläutern, da die schriftliche Fassung des Urteils noch nicht vorliege.
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Wallerius sagte nach seiner Verurteilung, dass ihn jetzt wohl neun Tage Kartoffelbrei erwarteten. Den deutschen Diplomaten sei er sowohl für ihre Präsenz dankbar, die möglicherweise ein noch härteres Urteil verhindert habe wie auch für die Zusage, Gepäck und Fahrräder während seiner Haftzeit zu verwahren.
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(-ld/.rufo)
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