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Jens Siegert: Besorgnis ist angebracht (Foto: Heinrich Böll Stiftung)
Jens Siegert: Besorgnis ist angebracht (Foto: Heinrich Böll Stiftung)
Mittwoch, 22.02.2006

NGO-Gesetz: Folgen für Zivilgesellschaft unklar

Moskau. Das Gesetz über die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) tritt am 18. April in Kraft. Was bedeutet das für die NGOs in Russland? Russland- Aktuell sprach mit Jens Siegert, dem Büroleiter der Heinrich-Böll Stiftung in Moskau.

R-A: Welche Auswirkungen des Gesetzes erwarten Sie für Ihre Arbeit und allgemein für die Arbeit ausländischer zivilgesellschaftlicher Organisationen?


Siegert: Das ist schwer zu sagen. Das Problem ist, dass sehr viel davon abhängt, wie das Gesetz angewendet wird. Das heißt in erster Linie wird es darauf ankommen, welche Durchführungsbestimmungen die Regierung erlässt. Die werden im Moment in der Regierung erarbeitet und es ist bisher unbekannt, wie sie aussehen werden.

R-A: Was sind das für Durchführungsbestimmungen?


Ein Polizeieinsatz beendete Anfang Februar eine Demonstration gegen das NGO-Gesetz vor der Moskauer Geheimdienstzentrale (Foto: Staib/.rufo)
Ein Polizeieinsatz beendete Anfang Februar eine Demonstration gegen das NGO-Gesetz vor der Moskauer Geheimdienstzentrale (Foto: Staib/.rufo)
Siegert: In dem Gesetz wird eine relativ strenge Kontrolle unserer Tätigkeit, insbesondere der Finanzflüsse allgemein festgelegt. Gleichzeitig steht aber darin, dass die genaue Form der Kontrolle eben durch die Regierung in Form von Verwaltungsvorschriften festgelegt wird. Da kann man sich ganz unterschiedliche Sachen vorstellen:

Eine Möglichkeit wäre, dass wir Jahresabschlüsse machen und damit Rechnung darüber ablegen müssen, was wir mit unserem Geld gemacht haben. Das unterscheidet sich nicht wesentlich von dem, was wir als politische Stiftung sowieso machen müssen: Wir erhalten Geld aus dem Bundeshaushalt und müssen Rechnung darüber ablegen.

Eine andere Möglichkeit wäre, dass wir Anfang des Jahres Pläne darüber einreichen müssen, was wir im Laufe des Jahres machen wollen. Möglicherweise geht das bis hin zu Genehmigungen bestimmter Projekte. Es gibt in dem Gesetz eine Aufzählung von Situationen, in denen die Regierung uns im Prinzip untersagen kann, bestimmte Organisationen oder Privatpersonen zu finanzieren.

R-A: Könnte es passieren, dass ausländische Stiftungen generell schließen müssen?


Siegert: Nein, das nicht. Das ist dann mehr oder weniger unsere Entscheidung. Wenn der schlechteste oben geschilderte vorstellbare Fall eintrifft (was ich nicht hoffe und eigentlich auch nicht annehme), dann wird unsere Arbeit hier ausgesprochen schwer werden. So schwer vielleicht, dass man dann darüber nachdenken muss, ob es Sinn macht, das Büro weiter zu führen.

R-A: Welche Auswirkungen des Gesetzes erwarten Sie für die Arbeit russischer NGOs?


Siegert: Das kommt auch auf die Durchführungsbestimmungen an. Da gibt es z.B. einige Bestimmungen im Gesetz, die vorsehen, dass über die Finanzierung von ausländischen Geldgebern Rechenschaft abgelegt werden muss. Eine Frage ist: wird es da ein Verfahren geben, das faktisch auf eine Genehmigung einzelner Gelder hinausläuft?

Bei Russland-Aktuell
• Neue Aufsichtsbehörde kontrolliert NGO in Russland (27.12.2005)
• Putin lässt NGO-Gesetz nachbessern (09.12.2005)
• Putin: NGO-Gesetz soll überarbeitet werden (05.12.2005)
• Jugendamt gegen Kinderheim mit deutschen Spenden (17.12.2005)
• Russisch-Tschetschenische Freundschaft vor Gericht (02.02.2006)
Außerdem – das gilt im Übrigen auch für uns – werden in dem Gesetz eine ganze Reihe von Gründen genannt, nach denen NGOs geschlossen oder nicht mehr registriert werden. Die Gründe sind unterschiedlich...

R-A: ...und oft sehr verschwommen formuliert.


Siegert: ...ja, sehr weitgehend formuliert und damit sehr auslegefähig. Da wird es wirklich auf die Praxis ankommen. Wenn es da Beamte in den entsprechenden Behörden gibt, die das zu prüfen haben (und das sind ja in Russland immer viele) und die das weit auslegen, dann wird man große Probleme haben, sich durchzusetzen. Es ist alles sehr ungenau formuliert, und es gibt große Freiräume für die Beamten. Der neue Menschenrechtsbeauftragte des Europarats sieht das auch so, wie aus dem gestern im „Kommersant veröffentlichten Interview hervorgeht.

Da wir ja alle eine gewisse Erfahrung der russischen Verwaltungspraxis haben, ist es wohl nicht unfair zu sagen, dass man da zumindest beunruhigt sein darf.

R-A: Das russische NGO-Gesetz ist - bei aller Kritik - nicht schärfer als vergleichbare Gesetze in Frankreich oder Finnland.


Siegert: Das kann ich nicht sagen, ich halte mich an Deutschland. Da gibt es keine Kontrolle über NGOs. Punkt. Sondern es gibt die ganz einfache und selbstverständliche Auflage, dass NGOs bei ihrer Tätigkeit die Gesetze einhalten müssen. Und wenn sie das nicht machen, dann wird der Staat aktiv und alles geht seinen rechtstaatlichen Weg.

Die Fortsetzung des Interviews folgt in den nächsten Tagen.

Die Fragen stellte Julian Staib.



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