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Der Herr des guten Tones und der großen Aufgaben – Valery Gergiew in seinem Element am Dirigentenpult. (Foto: ruvr.ru)
Der Herr des guten Tones und der großen Aufgaben – Valery Gergiew in seinem Element am Dirigentenpult. (Foto: ruvr.ru)
Montag, 24.10.2011

Gergiew inszeniert kompletten Schostakowitsch-Zyklus

München. Meisterlichen Größen obliegt es, große Meister gleich im Großen anzugehen. Valeri Gergijew, das Petersburger Genie am Dirigentenpult, dirigiert in der Münchner Philharmonie den kompletten Schostakowitsch-Zyklus.

Er gehört unbestritten zu den ganz Großen im klassischen Musikgeschäft. Valery Gergiew, der Direktor des altehrwürdigen Mariinski-Theaters in St. Petersburg, wandelt ständig auf dem schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn. Jetzt ist ihm wieder einmal ein Experiment auf höchstem Niveau eingefallen.

Explosiv, emotional, kühn – er zieht sein Publikum unweigerlich in seinen Bann. Das muss man zugeben: Der Gergijew hat was! Irgendwie polarisiert er, alleine schon durch sein Charisma. Fast ist man ja geneigt, Valery Gergiews Auftritte als gnostisch zu bezeichnen.

Der erneute Geniestreich des Meisters


Nun hat sich Gergijew den Schostakowitsch in den Sinn gesetzt. Nein, nein, nicht etwa eine seiner Symphonien soll es geben. Wenn schon, dann doch gleich der ganze Zyklus. An sieben Abenden werden in der Münchner Philharmonie alle 15 symphonischen Werke des russischen Komponisten aus Meisterhand geleitet.

Im Grunde genommen sind sich ja die Persönlichkeiten Valeri Gergijew und Dmitri Schostakowitsch sogar recht ähnlich. Der eine dirigiert und leitet wie ein Besessener, der andere komponierte, als gäbe es kein Morgen mehr.

Akribischer Weg zum Welterfolg


„Schostakowitsch wollte seine Sachen immer parat haben. Er saß auf seinem Stuhl und hielt seine Notizen fest in der Hand. Es muss ein ganz schöner Berg Papier gewesen sein“, erzählt Sol Gabetta, Cellistin bei den Münchner Philharmonikern, über die Person des Komponisten.

Der 1906 in St. Petersburg geborene Dmitri Schostakowitsch mauserte sich in seiner Schaffenszeit neben Strawinsky und Prokofjew zu einem der bedeutendsten Komponisten Russlands des 20. Jahrhunderts. Sein sinfonisches Schaffen wurde einmal gar als „apokalyptischer Soundtrack zum 20. Jahrhundert“ bezeichnet.

Bei Russland-Aktuell
• TV-Tipp: Doku über das Schaffen von Valeri Gergijew (10.06.2011)
• Gergijew mit den Londoner Sinfonikern zu Gast (17.01.2011)
• Schweizer Komponist Emil Frey: Rückkehr nach Russland (26.11.2010)
• Waleri Gergijew – ein Genie dirigiert in Basel (21.01.2010)
• Architekten zerreißen kanadisches Mariinski-Projekt (26.10.2009)

Auftragshymnen für den Sowjetstaat


Nachdem ihm sein Klavierlehrer nicht mehr beibringen konnte, wechselte Schostakowitsch 1919 auf das Petrograder Konservatorium. Seine Diplomarbeit, uraufgeführt von den Leningrader Philharmonikern, verschaffte ihm im Alter von nur 19 Jahren auch gleich weltweite Anerkennung.

Ab 1925 schrieb der Komponist Hymnen für das sowjetische Regime, ohne jedoch konform mit dem stalinistischen System zu gehen. Futurismus, Atonalität und Symbolismus waren seine musikalischen Stilrichtungen, die er verstand zu seinem eigenen Weg zu formen.

Eine Mischung aus Konvention und Revolution wurde fortan zum Markenzeichen des Dmitri Schostakowitsch. Grund genug, von seinem Auftraggeber Josef Stalin kritisch beäugt zu werden.

Symphonien, die Staatsgeschichte erzählen


Wurde Schostakowitschs erste Symphonie noch schlicht „Nr. 1 in f-Moll“ tituliert, bekam sein zweites Werk bereits einen Namen. Die Auftragsarbeit zum 10. Jahrestages der Oktoberrevolution wurde stolz zur Symphonie „An den Oktober“ erhoben. Es folgte 1931 die Ode „Zum 1. Mai“.

Hier ist es interessant, Schostakowitschs Einstellung zur Politik der Sowjetunion zu betrachten. Einerseits "drücke das Schaffen den Geist des friedlichen Wiederaufbaus aus", wie der Komponist in einem Brief an den Musiklehrer Boleslaw Jaworski schrieb, andererseits ist das meiste Material aber in schweren dunklen Tönen gehalten.

Seine Vierte hat die „Prawda“ verrissen, „Chaos statt Musik“ titelte das Blatt, mit seiner Fünften gelang ihm die Rückkehr des verlorenen Sohnes zur linientreuen Kulturpolitik. In seinen Worten: „Der Jubel ist unter Drohungen erzwungen.“ Fürwahr, der finale Triumphmarsch ist in Wirklichkeit ein Todesmarsch.

Der gute Ton der Sowjetunion – Dmitri Schostakowitsch schrieb im Auftrag musikalische Staatsgeschichte. (Foto: wikipedia)
Der gute Ton der Sowjetunion – Dmitri Schostakowitsch schrieb im Auftrag musikalische Staatsgeschichte. (Foto: wikipedia)

Mit der Siebten ein Denkmal gesetzt


Schon die sechste Symphonie sollte ursprünglich eine großangelegte "Lenin-Symphonie" werden. Dieses Projekt wurde jedoch nie in die Tat umgesetzt. Erst das nächste Werk von Schostakowitsch sollte unter dem Namen „Leningrader Symphonie“ endgültig in die Geschichte eingehen.

„Ich widme meine siebte Symphonie unserem Kampf gegen den Faschismus, unserem unabwendbaren Sieg über den Feind, und Leningrad, meiner Heimatstadt ...“, veröffentlichte Schostakowitsch am 29. März 1942 in der Prawda.

Um ihre Entstehung ranken sich indes nur Vermutungen. Da sie von Schostakowitsch bereits vor dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion begonnen wurde, könnte es sein, dass die Siebte als Propagandazweck für Stalin fungierte. Sie wurde dennoch zu einem Mythos.

In seinen Memoiren gab Schostakowitsch Jahrzehnte später seiner Siebten allerdings eine ganz andere Interpretation: „In ihr geht es nicht um die Blockade. Es geht um Leningrad, das Stalin zugrunde gerichtet hat. Hitler setzte nur den Schlusspunkt.“

Und munter tönt die UdSSR


Und doch wurde Schostakowitsch nicht müde, weitere „Staatsanleihen“ zu schreiben. Der kritische Unterton sollte dem Musiker jedoch erhalten bleiben. Bei der Uraufführung seiner Achten, im Herbst 1943, warf man Schostakowitsch sogar fehlenden Patriotismus vor.

Und doch gehen die Siebte bis zur Neunten, dem Triumph Stalins als „Siegersymphonie“ gehuldigt, als seine „Kriegssymphonien“ in die Annalen ein. Sozusagen als die „großen Töne des Vaterländischen Krieges“.

Wann und wo:
München, Philharmonie
02.11.2011 - Symphonien Nr. 1 und 4
21. und 22.12.2011 - Symphonien Nr. 5 und 14
24.03.2012 - Symphonien Nr. 2, 3 und 13
25.03.2012 - Symphonien Nr. 8 und 12
05.05.2012 - Symphonien Nr. 6 und 10
06.05.2012 - Symphonien Nr. 7 und 9
18. und 19.07.2012 - Symphonien Nr. 11 und 15
Ab da schrieb er erst nach dem Tode Stalins wieder an seiner Musik. Schostakowitsch wurde nun nicht mehr politisch gemaßregelt.

Befreit und sozialkritisch


Ab der zehnten Symphonie erfährt der Komponist seine Rehabilitierung vom Stalinregime und zeichnet wieder ein Petersburg-Bild. Die Elfte war gedacht als Denkmal an den „Petersburger Blutsonntag“, an dem die Polizei 1905 ein Massaker an demonstrierenden Arbeitern verübte. Die Zwölfte thematisiert „Das Jahr 1917“.

1961 vertont Schostakowitsch den Antisemitismus in der UdSSR. Die Grundlage des Gedichts „Babi Jar“ ist dazu seine Stellungnahme. In seiner vorletzten Symphonie bezieht sich Dmitri Schostakowitsch ganz auf das Thema „Tod“. Sein Abschlusswerk, die 15., ist schließlich eine Adaption von Wagners „Ring der Nibelungen“.

Am 9. August 1975 verstarb Dmitri Schostakowitsch an einem Herzinfarkt. Es sollte festgehalten werden, dass unter den Kranzniederlegungen bei seinem Begräbnis auf dem Neujungfrauen-Friedhof in Moskau auch ein Kranz des KGB war.

Eigentlich obliegt es nur einem, diesen Zyklus anzugehen. Dem Chef aus dem Mariinski, der auf allen großen Bühnen dieser Welt zuhause ist. Valery Gergiew nimmt die Herausforderung an. Die handwerkliche Aufgabe teilen sich gleichermaßen seine beiden Hausorchester, die Münchner Philharmoniker und das Mariinski-Orchester aus St. Petersburg.



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