Von Gisbert Mrozek, Moskau. Vermutlich gibt es doch weniger als 148 Millionen Russen. Erstes Ergebnis der Volkszählung im Fernen Osten: Einige Ortschaften existieren nur noch in der Statistik. Vor Ort trafen die Volkszähler keine lebende Seele mehr an. Sieben Tage soll die russische Volkszählung dauern, 180 Millionen Euro kosten – und endlich die Frage klären, wieviele Russen es eigentlich gibt, wieviel sie verdienen, wovon sie leben, welcher Religion und welcher Nation sie eigentlich angehören. Auf viele Fragen dürfte es aber nur sehr unscharfe Antworten geben. Hofhunde seien der Hauptfeind der Volkszählung, sagen die Volkszähler. Tatsächlich ist es eher die Staatsverdrossenheit, die die allgemeine Erfassung erschwert.
„Schreib dich in die Geschichte Russlands ein“ ist der offizielle Werbeslogan der Statistiker. Ein erheblicher Bevölkerungsanteil würde darauf aber gerne verzichten.
10 Prozent der Russen wollen sich laut Meinungsumfragen gar nicht registrieren lassen. 24 Prozent wollen falsche Auskünfte geben, weil sie nicht glauben, dass ihre Angaben anonym bleiben.
Die finale Antwort auf die Frage nach dem Pro-Kopf-Einkommen wird es also kaum geben: Weder die Zahl der Köpfe noch deren Einkommen lassen sich eindeutig fixieren. Auch deswegen, weil viele Russen die seltene Gelegenheit, dass der Staat auf sie angewiesen ist, zum Protest nutzen wollen. Und die Kommunisten solche Stimmungen unterstützen.
Weil sie keinen Strom und kein Gas haben, wollen sich Dorfbewohner im Gebiet Uljanowsk an der Wolga von diesem Staat nicht zählen lassen. Sie würden im Winter sowieso erfrieren, sagen sie. Warum sich also noch zählen lassen ?
In Moskau verweigern sich die Anwohner der Kostjakow-Strasse aus Protest gegen Behördenrücksichtslosigkeit - für Bauarbeiten wurde dort ein Kindergarten zerstört und 90 alte Bäume gefällt.
Manche Städter verweigern die Auskunft, weil sie Angst vor Einbrechern haben. Es gibt Moskauer Stadtteile, in denen die Zahl der Wohnungseinbrüche merklich anstieg.
Angst vor Hunden haben die Volkszähler auf dem Lande. Aus dem Fernen Osten wird berichtet, dass Volkszähler nicht nur gebissen, sondern auch verprügelt wurden.
Für die Zeit der Volkszählung wurde vorsorglich eine Urlaubssperre für die russische Miliz verhängt.
Während es Probleme geben könnte, alle jakutischen Pelztierjäger oder alle tschetschenischen Bergbewohner zu finden, werden jedenfalls die drei russischen Kosmonauten auf der ISS unausweichlich gezählt. Sie bekamen den Fragebogen am Mittwoch geschickt.
Die letzte Volkszählung hatte 1989 in der Sowjetunion stattgefunden und 250 Millionen Sowjetbürger registriert. In der RSFSR, der russischen Sowjetrepublik, dem Vorgänger der Russischen Föderation, lebten demnach 152 Millionen. Der Zusammenbruch der UdSSR, Migration im Inneren, Auswanderung und Babyknick waren bisher statistisch nicht erfasst worden.
Probleme mit der Statistik hatte es auch in der Geschichte gegeben: Die Volkszählung 1937 war von Stalin für gescheitert erklärt worden, weil die Statistiker etwa 20 Millionen weniger Sowjetbürger fanden, als es hätte geben müssen, wenn es keine Zwangskollektivierung und Hungersnöte gegeben hätte. Stalin liess einige Statistiker als Schädlinge liquidieren und die Zählung 1939 wiederholen. Sie brachte dann auch die gewünschten Ergebnisse.
Die Volkszählung 2002 soll präzise Daten für Putins Modernisierungsprojekt liefern und jedenfalls besser werden, als der Ruf der Sowjetstatistik ist.
(rUFO/gim)
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