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An der Wolgaquelle (Foto:Malden)
An der Wolgaquelle (Foto:Malden)
Donnerstag, 12.12.2002

Wohnmobil-Reise: Wild campen an der Wolga

St. Petersburg. Russland ganz auf eigene Faust entdecken, geht das überhaupt? Ingrid und Bernd Malden aus St. Petersburg fuhren im Herbst mit ihrem Allrad-Campingmobil 4500 Kilometer kreuz und quer durchs nördliche Zentralrussland - oft abseits der Hauptstraßen, ohne Ärger und Probleme, von einer alten Stadt zur nächsten. Hier ihr Reisebericht.

Mitte August fahren wir los mit unserem Bremach Camper. Wir packen hauptsächlich Sommersachen ein und wenig Vorräte, weil man auch auf dem flachen Land in Russland mittlerweile überall das Notwendigste bekommt. Schon 100 Kilometer nach St. Petersburg der erste Schreck: Wir übersehen auf der Fernstraße nach Moskau eine Bodenwelle und mit 80 km/h heben alle vier Räder gleichzeitig ab. Nach dem anschließenden Fahrzeugcheck können wir aber weiterfahren. Auch die Fahrräder am Heck sind noch da, wo sie hingehören.

Details zum Fahrzeug
• Allrad-Christ
• Dustdevil

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Zuerst geht es nach Nowgorod, was wir uns aber nicht weiter ansehen, weil wir von Petersburg aus sowieso noch mal über ein verlängertes Wochenende dahin wollen. Wir besichtigen nur den deutschen Soldatenfriedhof. Der interessiert uns, weil der Bundespräsident kurz danach auch nach Nowgorod reist und der Friedhof auf dem Besuchsprogramm steht. Wir übernachten bei Bekannten, die in Staraja Russa ein altes Holzhaus haben.

Am nächsten Tag fahren wir mit unseren Gastgebern über Korpowo bei Demjansk, einem weiteren großen Soldatenfriedhof, zur Wolgaquelle. Durch die Trockenheit der letzten Monate ist die Quelle allerdings fast ausgetrocknet und man kann sich kaum vorstellen, wie aus diesem Rinnsal mal ein riesiger Fluss werden soll. Der Platz ist aber schön zum Übernachten und so bleiben wir gleich da. Unsere Freunde verabschieden sich, ab jetzt fahren wir alleine weiter. Als Navigationsunterlagen dienen ein paar russische Straßenkarten und ein deutscher Reiseführer, der uns sehr geholfen hat: „Altrussische Städte“ von Hapke und Scheer, Trescher-Reihe Reisen.


Die Reiseroute
Die Reiseroute
Über den Seliger-See und Rschew geht es Richtung Twer, von da nach Uglitsch an der oberen Wolga, wo unser eigentliches „Programm“, nämlich das Anschauen alter russischer Städte und der dort vorhandenen Baukunst, beginnt.

Wir sind hier schon ziemlich weit ab vom Schuss und die Orientierung ist nicht immer einfach. Unsere neu gekauften Karten, immerhin im Maßstab 1:750.000, zeigen Straßen und Orte, die wir nicht finden und umgekehrt kommen wir durch Gegenden, die in den Karten nicht eingezeichnet sind. Einfache Leute auf der Straße nach dem Weg zu fragen, ist ziemlich sinnlos, die können auch nicht helfen. Am besten kennen sich Busfahrer aus, aber man findet natürlich nicht immer sofort einen.

Bei einer kurzen Rast irgendwo weitab von jeder Behausung stoppt ein riesiger Tieflader neben uns. Der Fahrer ist froh, uns getroffen zu haben, denn er hat sich total verfahren! Er hat keine Karte dabei und kennt nur den Ortsnamen, wo er hin soll. Das ist aber offensichtlich eine völlig andere Richtung. Mit Hilfe unserer unzulänglichen Karte bringen wir ihn dann hoffentlich auf den richtigen Weg. Er muss viele Kilometer in der selben Richtung zurückfahren, aus der er gekommen ist.

Anfangs verbringen wir ziemlich viel Zeit damit, einen geeigneten Platz für die Nacht zu finden. Es gibt ja keine Infrastruktur für Wohnmobile in Russland, da muss man sich selber helfen. Der Platz soll weit genug von jeder Besiedlung liegen, um eventuellen unerwünschten Besuch zu vermeiden, aber trotzdem landschaftlich ansprechend sein. Wir merken später, dass wir gar nicht so kritisch zu sein brauchen. Zum einen wird es schon früh dunkel, sodass sich die Landbevölkerung gegen 6 Uhr abends in ihre Isbas und Kolchosen zurückzieht und zum anderen werden wir wirklich nie behelligt, außer einmal in einer windigen Nacht an der mittleren Wolga – siehe unten.

Über Borissoglebski und Rostow Weliki geht es nach Pereslawl-Salesski. Das sind schon Orte, die zum eigentlichen „Goldenen Ring“ gehören, alles uralte Städte mit sehenswerten Kirchen und Klöstern. In der Maria-Entschlafens-Kathedrale des Goriskij-Klosters hören wir einem Mönchschor zu. Beeindruckend ist die Christi-Verklärungs-Kathedrale aus dem 12. Jahrhundert. Alexander Newskij, der berühmte Fürst und Feldherr, kam in diesem Ensemble 1220 zur Welt.

Einmal werden wir abends zum Tee in eine Familie eingeladen, weil wir unseren Bremach in der Nähe parken und man natürlich auf uns aufmerksam wird. Die Leute sind wohlhabende Moskauer, die ihr Sommerhaus am See nur während einiger Monate bewohnen. Wir haben eine sehr interessante Unterhaltung und das Kaminfeuer und ein Glas Wodka wärmen uns angenehm.

Apropos Wärme: wir sind bei warmen Sommerwettter losgefahren und haben auf Grund des schönen langen Sommers glatt vergessen, auch ein paar Sachen für kühlere Tage einzupacken. Schon wenige Tage nach der Abfahrt wird es nachts aber so kalt, dass wir die Diesel-Heizung anstellen müssen. Später stellen wir sie dann kaum mehr ab.

Den ersten und auf unserer ganzen Reise einzigen Touristenrummel erleben wir in Sergijew Posad in der Nähe von Moskau. Das ist nichts für uns und wir treten trotz der beeindruckenden Bauten alsbald die Weiterfahrt an.

Auf dem Wege nach Jurjew-Polski verfahren wir uns in Alexandrow und kommen durch Zufall an einer sehr schönen Klosteranlage vorbei, die in unserem Reiseführer nicht erwähnt ist. Der Besuch kostet uns allerdings die beiden vorderen Lampen unserer Fahrräder, die hatte jemand in der Zwischenzeit fein säuberlich abmontiert.

Auch in Jurjew-Polski kommen wir in den Genuss eines Besuchs bei einer Familie. Wir stehen an einem schmalen Fluss vor einem offenbar unbewohnten, ziemlich verfallenen Haus, als uns ein älterer Mann anspricht. Er hat das Haus bei einem Saufgelage mit Freunden geschenkt bekommen und macht sich nun daran, die Hütte wieder herzurichten. Er zeigt uns jede Einzelheit. Unglaublich, wie diese Russen improvisieren können! Gennadi wohnt mit seiner Familie ein paar Häuser weiter und lädt uns spontan zum Abendessen ein. Es wird noch ein sehr gemütlicher Abend. Weil der Strom ausfällt, werden Kerzen angezündet. Gennadi versorgt sich wie der Großteil der Bevölkerung auf dem Lande und in den kleineren Städten selber. Im Garten wachsen Kartoffeln, Kohl, Möhren, Zwiebeln und Grünzeug, ein paar Apfelbäume sorgen für die Vitamine. Bei der Abfahrt am nächsten Morgen kommt er noch mit Taschen voller Obst und Gemüse für uns an. Schließlich haben wir noch eine weite Reise vor uns und wir sollen doch nicht hungern! Von den Kartoffeln leben wir bis zum Schluss der Reise.

Ein Highlight unserer Reise ist Susdal – unter den kleineren Orten, die wir besuchen, sicher der lohnendste. Selbst die Sowjetmacht, die rücksichtslos Kirchen und Klöster beseitigt oder als Lagerhallen und Werkstätten missbraucht hat, konnte die besondere Atmosphäre dieses Ortes nicht zerstören. Losung aus dem Jahre 1927: „Alle Glocken in den Industrialisierungsfonds!“

Wir wohnen in unserem Camper auf einem etwas außerhalb gelegenen bewachten Hotelparkplatz. Das ist sehr praktisch, denn nun können wir unbesorgt Susdal zu Fuß und mit unseren Rädern erkunden. Es gibt dort alleine fünf Stätten, die die UNESCO zum Weltkulturerbe zählt, und man weiß gar nicht, wo man mit dem Besichtigen anfangen soll.

Das Pokrowski-Kloster, in dem früher vor allem adlige Damen lebten, deren Ehemänner ihre Frauen loswerden wollten (Scheidungen gab es damals nicht), weist heute neben den restaurierten Sakralbauten kleine Blockhäuser für Touristen und eine Sauna auf. Die buchen wir denn gleich mal für zwei Stunden.

Fünf Tage bleiben wir in Susdal. Besonders beeindruckt sind wir vom Jefimow-Kloster, das jetzt größtenteils Museum ist. Die früheren Mönchszellen wurden in der Stalin-Zeit als Straflager für politische Gefangene genutzt. Schon die Terminologie läßt einen erschauern (Filtrazijonni Lager, Polit-Isolator). Während des 2. Weltkrieges diente das Kloster als Lager für deutsche Kriegsgefangene. Generalfeldmarschall Paulus, einer der Überlebenden von Stalingrad, wurde hier gefangengehalten. Die Ausstellung ist sehenswert.

Unsere Fahrräder kommen hier richtig zum Einsatz. Mit unseren Helmen und der bunten Sportbekleidung kommen wir uns allerdings ziemlich exotisch vor. Gott sei Dank finde ich Ingrids Fahrradhandschuhe wieder, die sie auf einer kleinen Straße ein paar Stunden zuvor verloren hat.


In Wladimir
In Wladimir
Über Wladimir und das nahegelegene Bogoljubowo, wo wir fast neben der berühmten Maria-Schutz-an-der-Nerl-Kirche aus dem 12. Jahrhundert an der Kljasma campen und eine zweitägige Pause in der Natur einschließlich Baden im sauberen Fluß einlegen, geht es weiter Richtung Kolomna. Die Wald- und Torfbrände nach der monatelangen Trockenheit verschlechtern leider sehr die Sicht.

Einmal mehr führt uns unsere Karte in die Irre. Die Landstraße endet plötzlich und ohne Vorwarnung an einer T-Kreuzung. Rechts geht es in einen Steinbruch mit riesigen Kipplastern, links zu einer kolossalen Industrieanlage mit dem schönen Namen „Zem-Gigant“ (Zement) und einem Verbotsschild für alle nicht betriebsangehörigen Fahrzeuge.

Also etliche Kilometer zurück. Da es schon Abend ist, entscheiden wir uns nach einigem hin und her für einen offenbar ruhigen Platz weit abseits der Straße in einem Waldstück. Dach hoch, ein Bier zur Erfrischung, Deutsche Welle an, Abendessen vorbereiten. Da fängt es an zu grollen und zu donnern und hört nicht mehr auf. Wir stehen nur wenige Meter von einer Schlucht entfernt, durch die fast pausenlos endlose Güterzüge rumpeln und einen Lärm verursachen, dass wir kaum unser eigenes Wort verstehen. Bestimmt wollen die alle zum „Zem-Giganten“.

Also Dach einklappen, wieder alles verstauen, die zwei Kilometer zurück über den staubigen Feldweg und einen leiseren Platz suchen. Zum Glück ist Russland ja groß und wir kommen doch noch zu unserem idyllischen Plätzchen, bevor es ganz dunkel wird.

Über Kolomna am Zusammenfluss von Moskwa und Oka mit seinem Kreml und Klöstern geht es zum Dorf Konstantinowo, dem Geburtsort von Sergej Jesenin, den Russland als einen seiner bedeutendsten Dichter verehrt. Dieser hat seinem jungen Leben bekanntlich im Alter von 29 Jahren im Petersburger Hotel Angleterre mittels einer Rasierklinge ein frühes Ende bereitet und sein letztes Gedicht mit Blut an die Wand des Hotelzimmers geschrieben.


Erster Schultag in Rjasan (foto:Malden)
Erster Schultag in Rjasan (foto:Malden)
In Rjasan übernachten wir mitten in der Stadt gleich neben der Heiliggeist-Kirche hinter dem Kreml. Eine plötzlich auftauchende Polizeistreife mit vorgehaltener MP fragt mich, wer wir sind und was wir hier machen. Unser harmloses Aussehen, die Fahrräder am Heck und eine grüne deutsche Mülltüte an der vorderen Stoßstange überzeugen die Staatsgewalt, dass wir keine Gefahr für die öffentliche Ordnung Russlands darstellen und sie lassen uns in Ruhe.

Abends genehmigen wir uns für je 20 Rubel eine Tour auf einem kleinen Ausflugsboot. Die russische Dudelmusik animiert die Passagiere zum Tanz und auch wir müssen mitmachen. Es wird noch ganz lustig. Während die anderen Passagiere nach der Tour noch wer weiß wo hin müssen, steht unser Bremach nur fünf Minuten von der Anlegestelle entfernt und wir machen uns noch einen schönen Abend.

Auch in Rjasan, dem südlichsten Punkt unserer Reise, gibt es Orientierungsprobleme. Die Straße nach Murom, unserem nächsten Ziel, ist in der Karte als große Ausfallstraße mit Brücke über die Oka eingezeichnet. Trotzdem brauchen wir mangels Beschilderung ungefähr eine Stunde, bis wir sie finden. Der Trick war, eine wegen Bauarbeiten an sich gesperrte Straße zu benutzen. Diesen Tip gab uns die Verkehrspolizei.

Murom erinnert uns am meisten an vergangene Sowjetzeiten. Die Stadt war wegen ihrer Rüstungsbetriebe jahrzehntelang auch für Sowjetbürger gesperrt, die hier nicht wohnten. Irgendwie merkt man das heute noch. Selbst im Maria-Verkündigungs-Kloster ist man sehr reserviert und als Radfahrer werden wir von der Bevölkerung mit Überraschung zur Kenntnis genommen.

Sonntags geht es gegen Abend Richtung Nischnij Nowgorod, der drittgrößten Stadt Russlands. Der Verkehr wird dichter, hektischer und rücksichtsloser, die Wochenendausflügler kehren heim. Zahlreiche von den Angehörigen entlang der Straße privat errichtete kleine Kreuze oder Erinnerungsmale zeugen von den vielen schweren Unfällen. Sie mahnen uns zu besonderer Vorsicht. An einem Kreisverkehr gibt es ein kleines Mahnmal mit zerquetschtem Motorradhelm. Wir halten an und besichtigen es: Die Aufschrift lautet „pjanny“ (betrunken).

In Nishnij Nowgorod werden wir, da wir keinen vernünftigen Stellplatz im Zentrum finden, unserem Bremach untreu und ziehen für ein paar Tage in das Hotel „Nishegorodskaja“. Dort ist noch alles sehr sowjetisch, von der Deschurnaja (Etagenfrau) bis zur Ausstattung und dem Geruch des Zimmers, die Preise sind dafür allerdings akzeptabel.

Es wird kalt und wir ziehen uns alles an, was wir haben. Tagsüber viel Programm, es gibt eine Menge zu sehen, abends ins Kino. Durch Zufall kommen wir am „Orlenok“ vorbei, wo das Goethe-Institut Moskau klassische deutsche Stummfilme mit moderner Musikbegleitung zeigt. Wir sehen uns „Berlin“ von 1927 und „Nosferatu“, ein Gruselfilm von 1921 an. Beide Filme finden viel Anklang beim überwiegend studentischen Publikum, besonderen Applaus bekommen die Elektronik-Musiker für ihre Untermalung.

Im Verkaufsladen des Blagoweschenski-Klosters, gleich unterhalb des Hotels, kaufen wir Brot, angeblich das beste in der Stadt. Es ist wirklich gut und ofenfrisch. Die Oma, die uns bedient, spricht gleich deutsch mit uns. Von einem Markt holen wir uns mittags ein paar gut aussehende heiße Piroggen, die aber leider gar nicht unserem Geschmack entsprechen. Ich verschenke sie an eine alte Bettlerin, die sich sogleich mit Genuss ans Verzehren macht. Auf den Spuren Gorkis finden wir auch das Nachtasyl für Obdachlose, das ihm als Vorlage für eins seiner Dramen diente.

Dem Bremach gönnen wir in einer Werkstatt etwas Fett für seine Schmiernippel und eine Wagenwäsche. Die Fahrräder werden gleich mitgewaschen, sie haben es nötig.

Von nun an geht es wolgaaufwärts. Die Landschaft wird hügelig und abwechslungsreich. Wir finden einen besonders schönen Platz in einem Wäldchen direkt über dem Fluss, der hier gestaut mehrere Kilometer breit ist. Schubschiffe fahren im Schneckentempo an uns vorbei.

In einer kleinen Stadt ergänzen wir unsere Vorräte. Die Lebensmittelpreise sind hier, weitab von jedem Zentrum, geradezu lächerlich. An einem Marktstand bezahlen wir für je ein Kilo Äpfel, Tomaten und ein großes Bund Radieschen zusammen 9 Rubel (0,29 Euro). Und am nächsten Tag werden wir in einer Stolowaja (Kantine), der einzigen Beköstigungsmöglichkeit in einer anderen Stadt, für 25 Rubel (0,80 Euro) beide warm und satt. Das schont die Reisekasse.

Weiter soll es nach Pljoss gehen, ein kleines Städtchen, das durch die Wandermaler Levitan und Stepanow Ende des 19. Jahrhunderts eine gewisse Berühmtheit erlangt hat. In Kineschma müssen wir uns entscheiden: entweder nach links über diverse Hauptstraßen Richtung Iwanowo, was zwar gut befahrbar, aber sehr weit aussieht, oder, viel kürzer, über die Wolga-Brücke, auf Nebenstraßen am Ufer entlang und ganz in der Nähe von Pljoss über die nächste Brücke ans rechte Wolgaufer zurück.

Wir entscheiden uns für die zweite Variante und suchen die Brücke, die in unserer Karte dick eingezeichnet ist. Nach einigem Verfahren und dem üblichen Befragen der Bevölkerung kommen wir in einen Baustellenbereich. Da sehen wir die Brücke – ungefähr halb fertig. Auf die Frage, wann das Bauwerk denn wohl vollendet sein wird, antwortet ein Bauarbeiter, das dürfte wohl noch ein paar Jahre dauern. So lange wollen wir nun nicht warten. Er empfiehlt uns eine Fähre, die auch Autos mitnimmt. Über einen Feldweg und einen Betriebshof gelangen wir nach längerem Suchen auch dort hin – es gibt natürlich keine Schilder. Immerhin kommen wir aber mit.

Auf der anderen Seite wird die „Nebenstraße“ schnell zur Sandpiste, die bald in mehreren Spuren verläuft. Wir orientieren uns am Sonnenstand und folgen in einigem Abstand der Staubfahne eines vor uns fahrenden Omnibusses. Irgendwie verschwindet der Bus plötzlich und wir stehen mitten in einer Kiesgrube. Was nun? Der freundliche Fahrer eines riesigen Muldenkippers stellt seine Arbeit ein und lotst uns aus dem Pistengewirr wieder heraus.

Angekommen an der Stelle gegenüber Pljoss stellen wir fest, dass es weder die erwartete Brücke noch einen Fährdienst gibt. Den gab es mal, aber der Anleger ist vor 4 Jahren abgebrannt. Wir hätten wohl jemand mit einem Ruderboot anheuern können, aber den Bremach wollen wir nicht zurücklassen.

Also weiter stromaufwärts. Es wird dunkel und wir entscheiden uns für einen abgelegenen Platz in einem Wald direkt am Fluss. Irgendwie ist dort alles schief und wir müssen eine Weile rangieren, bis wir mit Hilfe unserer Unterlegkeile gerade stehen. Keine Menschenseele ist zu sehen, nur das Tuckern der Frachtschiffe hört man gelegentlich. Es ist kalt und windig und wir verkriechen uns bald in unsere Schlafsäcke.

Plötzlich bollert es gegen die Kabine. Ich schrecke aus dem ersten Schlaf auf. Da fragt uns doch tatsächlich eine männliche Stimme nach dem Weg zum nächsten Ort! Ich reagiere unwirsch, der Mensch merkt, dass er mit uns nicht ins Gespräch kommt und trollt sich. Mit dem Schlaf ist es bei mir aber erst mal vorbei.


Birkenwald bei Pljoss (foto: Malden)
Birkenwald bei Pljoss (foto: Malden)
Am nächsten Morgen Weiterfahrt nach Krasnoje-na-Wolge und Suche nach einer anderen Fähre. Wir haben Glück. Nachdem das Boot, wie uns die Leute erzählen, 2 Monate wegen eines Schadens nicht fahren konnte, verkehrt es heute zum ersten mal wieder. Wir fahren mit, rollen zufrieden in Pljoss ein und wandeln auf den Spuren der berühmten Maler. Wir finden sogar Levitans „Birkenhain“, ein Bild, mit dem er den Durchbruch geschafft hat und beschließen sogleich, in diesem Wäldchen, das vor über hundert Jahren wohl auch nicht viel anders aussah als heute, zu übernachten.

Kostroma ist unser nächstes Ziel. Zwei Nächte bleiben wir an diesem schönen Ort, dessen Ipatjew-Kloster sich wohl alle Wolgatouristen ansehen. Vor der Auferstehungskirche im Walde segnet ein Pope ein Auto mit Weihwasser. Wir gehen mal wieder in ein Internet-Cafe, um unsere Mails zu Hause abzurufen und ein Lebenszeichen von uns abzugeben.

Eine makabre Ausstellung von Wachsfiguren aus St. Petersburg weckt unser Interesse. Menschen mit Haut- und Raucherkrankheiten sind da zu sehen, ein Elektriker im Moment eines Hochspannungsstoßes, ein Fräser mit einem Metallstück in der Stirn, eine Gebärende beim Kaiserschnitt usw. Wir trinken anschließend einen Schnaps. Das Schloss der Beifahrertür ist plötzlich defekt und wir müssen eine Werkstatt suchen.

Jetzt ist Jaroslawl nicht mehr weit. Es ist kalt, und immer wieder regnet es. Trotzdem klettern wir auf den Glockenturm des Spasso-Preobrashenskij-Klosters und genießen eine tolle Aussicht auf die uralte Stadt mit ihrem vielen Grün und unzähligen Kirchen. Da die Schloss-Reparatur von Kostroma nicht von Dauer war, müssen wir noch mal in eine Werkstatt. Nachdem alles aus- und wieder eingebaut wurde, erklärt man uns, den Schaden leider nicht beheben zu können. Wir können nur noch die Fahrertür von außen öffnen. Da wir ohnehin schon am Stadtrand sind, entschließen wir uns, außerhalb der Stadt zu übernachten.

Wir biegen wie üblich von der Straße ab in einen allerdings sehr holperigen und seitlich abschüssigen Feldweg. Ungefähr ein Kilometer von der Straße entfernt parken wir neben einem abgeernteten Kornfeld. Kaum haben wir uns eingerichtet, fängt es an zu regnen. Zuerst leicht, dann stärker, und es hört nicht mehr auf. Am nächsten Morgen klettere ich heraus und klebe mit meinen Schuhen fast im Morast fest. Der am Abend noch gut befahrbare Weg hat sich in eine grundlose Masse verwandelt. Egal, wir wollen zurück nach Jaroslawl. Allrad rein, Untersetzung rein, und ab gehts. Schlingernd und rutschend komme ich vorwärts. Am besten geht es auf dem Kornfeld, das wir aber bald verlassen müssen. Und dann kommt das schwierigste Stück: der abschüssige Weg endet links in einer tiefen Mulde. Wenn wir da hineingeraten, ist Schluss. Alleine kommen wir da bei diesem Wetter nicht mehr heraus. Und weit und breit keine Menschenseele. Ich halte an, entscheide mich für die offenbar griffigste Variante – und komme durch. Die Straße ist in Sichtweite.

Wir atmen auf, der Puls ist leicht erhöht. Hinterher mache ich mir Vorwürfe. Das hätte schief gehen können. Es wäre zwar eine Sauarbeit gewesen, aber wir hätten das gefährlich schräge Stück mit Ästen, Steinen und dem Klappspaten zumindest so entschärfen können, dass es keinen seitlichen Verrutscher geben konnte. Beim nächsten Mal werden wir vorsichtiger sein. Man soll sein Glück nicht überstrapazieren.

Trotz des schlechten Wetters sehen wir uns Jaroslawl an. Unser Reiseführer listet alleine für diese Stadt ungefähr 20 Sehenswürdigkeiten auf. Am Nachmittag haben wir aber genug und besuchen erst mal frierend und durchnässt eine Sauna. Wir finden wieder einen ruhig gelegenen bewachten Parkplatz mitten im Zentrum, auf dem wir zwei Nächte bleiben. Alles Sehenswerte lässt sich von hier aus prima zu Fuß erreichen. Die Elias-Kirche gefällt uns besonders gut.

Auf dem Wege nach Wologda fahren wir noch beim Tolgski-Nonnenkloster vorbei. Es wurde nach der Rückgabe an die Kirche 1987 komplett restauriert und macht auf uns einen hervorragenden Eindruck. Eine Fotoausstellung zeigt den deprimierenden Zustand vor der Renovierung. Während der Sowjetzeit war hier ein Jugendgefängnis untergebracht. Eine Nonne verkauft klostereigenen Honig und Mineralwasser an die Besucher.


Andreaskirche in Wologda (foto:Malden)
Andreaskirche in Wologda (foto:Malden)
In Wologda müssen wir uns wieder entscheiden, wie wir nach Hause fahren – entweder westlich die direkte Fernstraße über Tichwin oder die nördliche Strecke über „Nebenstraßen“ nach Wyterga. Da unsere Reiselust auch nach fünf Wochen ungebrochen ist und wir noch etwas Zeit haben, entscheiden wir uns für die längere Strecke. Diese lohnt sich, weil sie landschaftlich sehr reizvoll ist. Besonders gefällt uns die Strecke entlang des Indomanka-Flusses. Mit der Herbstfärbung erinnert die Gegend ein wenig an New England.

Sogar einen Berg besteigen wir im strömenden Regen – der Maura ist mit seinen 85 Metern die höchste Erhebung des Nationalparks „Russkij Sewer“ (Russischer Norden) in der Nähe von Kirillow. Wir sehen uns dort die riesige Anlage des Kirillow-Beloserski-Klosters mit den doppelstöckigen Wehrgängen an. Hier wird es noch lange bis zum Abschluss der Renovierung dauern. Ein Stück daneben entdecken wir eine Lkw-Werkstatt, die in einer ehemaligen Kirche untergebracht ist.

Wir haben den 22. September. Natürlich wollen wir am Abend über Kurzwelle die Wahlergebnisse aus Deutschland verfolgen. Wir sind schon sehr gespannt. Aber ausgerechnet heute finden wir irgendwie keinen Platz, der uns zusagt, und es ist schon spät. Schließlich entscheiden wir uns für einen Parkplatz in der Nähe einer Straße. Bevor wir uns einrichten, kommt mir die Idee, das KW-Radio auf Empfang zu testen, denn ganz in der Nähe sehe ich einen Sendemast.

Prompt stört dieser Mast und ich bekomme die Deutsche Welle nur mit Quietschen und Jaulen herein. So kann man doch keine Wahlparty veranstalten! Also nichts wie weg. Ein paar Kilometer weiter ist der Empfang wieder gewohnt gut und wir finden sogar noch auf die Schnelle einen schönen Platz am Rande einer großen Wiese mit Fernsicht auf einen See. Es gibt Spaghetti und Glühwein und es wird noch eine lange und spannende Nacht am Radio. Die Weiterfahrt nach Norden gestaltet sich schwierig. Der Asphalt hört auf und die regendurchweichte, schlaglochübersäte Trasse wechselt zwischen Sand und Schlamm. Mehr als 30 km/h sind beim besten Willen nicht drin und eigentlich zu schnell. Dieser Landstrich ist einsam, wir sehen den ganzen Tag kaum Menschen, geschweige denn andere Fahrzeuge.


Am Pleschtschewo-See (Foto:Malden)
Am Pleschtschewo-See (Foto:Malden)
Wir überqueren wieder mit einer Fähre den Wolgo-Baltijski-Kanal. Später übernachten wir direkt an dieser eindrucksvollen Wasserstraße, die Petersburg über den Ladoga- und Onega-See mit Moskau sowie Wolga und Don verbindet, in einem Kiefernwald. Der Himmel reißt auf, wir stehen nachts bei Vollmond auf dem Steilufer und beobachten die leise vorbeirauschenden Frachtschiffe – ein Panorama wie aus dem Bilderbuch.

Die Rüttelpiste geht noch weit bis ins Leningrader Gebiet hinein – erst kurz vor Lodejnoje Pole, fast schon am Ladogasee, haben wir wieder Asphalt unter den Rädern. Eine letzte Übernachtung, noch eine Festungsbesichtigung in Staraja Ladoga, und wir sind wieder zu Hause.

Fazit: Knapp sechs Wochen unterwegs gewesen, 4500 Kilometer gefahren und nur einen kleinen Teil dieses Riesenlandes gesehen. Ob wir zufrieden sind? Keine Frage, bestimmt fahren wir nächstes Jahr wieder durch Russland.

Text und Fotos: Bernd Malden

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