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Militärparade am Tag des Sieges 2006 (Foto: ORT)
Militärparade am Tag des Sieges 2006 (Foto: ORT)
Montag, 30.04.2007

Die Sollbruchlinie für Europa: Tallinn-Kiew-Tiflis

Gisbert Mrozek, Moskau. Es scheint, dass sich eine neue Bruchlinie in Europa bildet, die für schwere politische Erdbeben gut ist. Sie reicht von Tallinn über Riga, Vilnius, Kiew und die Krim bis nach Tiflis. Es ist eine Sollbruchlinie.

Die russische Elite ist wirklich kein Mädchengesangsverein und auch keine Männer-Selbstfindungsgruppe. Aber sie spielt bisher eher eine passive Rolle. Vielleicht nur aus dem Grunde, dass Russland (und übrigens auch Europa) sich gegenwärtig recht kräftig entwickelt und nach dem Perestroika-Chaos mindestens noch ein-zwei Jahrzehnte lang Ruhe und Stabilität braucht – während die USA, die den Höhepunkt ihrer Macht anscheinend schon überschritten haben, ihr Heil im Chaos suchen könnten.

Entlang der europäischen Sollbruchlinie werden Feindbilder aufgebaut. Zum Beispiel das Bild vom immer aggressiveren und autoritäreren Russland, vom Energieimperialismus und wiedererwachenden Totalitarismus.

Bisher gab es Vorbeben - Die Dramatik wird eher zunehmen


Entlang der Sollbruchlinie flackern vermehrt seit etwa zwei Jahren immer wieder Konflikte auf, die die Feindbilder dramatisch ausleuchten. Was wir bisher gesehen haben, ist leider noch längst nicht alles. Die Dramatik wird eher zunehmen.

In den letzten Monaten hatten wir bisher die Vorbeben: unter anderem den Gas- und Ölkonflikt um Weißrussland, die Verfassungskrise in Kiew und den Denkmalstreit von Tallinn. Auf die US-Raketenstationierungspläne folgten die Münchener Rede Putins und das Moratorium für den KSE-Vertrag.

In den kommenden Monaten kann sich Intensität der Beben noch erheblich steigern: mit einem handfesten Krach um übrig gebliebene Sowjetdenkmäler in Polen (passend zum 9.Mai), Ethno-Krawallen auf der Krim, georgischen Militäroperationen gegen Abchasien und Südossetien. Den Höhepunkt könnte eine Eskalation in Kiew bilden.

Bisher ist entlang der Sollbruchlinie kein Blut – oder nur wenig Blut – geflossen


Bei Russland-Aktuell
• Tallinn brennt - Kalter Krieg, die Zweite? (27.04.2007)
• Putin verkündet Moratorium bei Rüstungskontrolle (26.04.2007)
• Gates verteidigt in Moskau US-Raketenpläne (23.04.2007)
• Was wollen die USA wirklich mit ihrem Raketenschirm? (19.04.2007)
• Russland Stabilitätsfaktor in Europa, USA nicht ? (12.02.2007)
Bisher ist entlang der Sollbruchlinie kein Blut – oder nur wenig Blut – geflossen. Aber das kann sich leider recht schnell ändern. Das Gefährliche an dem tektonischen Riss, der sich in Europa herausbildet, ist, dass er an der Trennungslinie zwischen den alten Kontinentalplatten der Kulturen verläuft – und mindestens einen Staat in zwei Hälften spaltet. In die polnisch-litauisch- k.u.k- katholische Hälfte und die andere russisch-orthodoxe Hälfte auf dem Ostufer des Dnjepr. Und: mit den Spannungen, die sich an dieser Linie aufgehäuft haben, wird politisch spekuliert.

Krieg der Kulturen statt Dialog der Kulturen


Die Konfliktzone haben unter anderen Zbigniew Brzezinski und Samuel Huntington seit langem schon gründlich beschrieben. Vieles von dem, was sich jetzt abspielt, lässt sich in ihren Werken nachlesen. Dass die US-Außenpolitik den Dialog der Kulturen fördert, lässt sich trotzdem nicht sagen.

Mit jeder Eruption an der europäischen Sollbruchlinie werden die Feindbilder noch Furcht einflössender als bisher werden, egal ob man sie von Westen oder Osten her sieht.

Es wäre zu hoffen, dass dies schliesslich nicht so endet, wie bereits zweimal im vergangenen Jahrhundert. Es wäre gut, wenn sich diese Befürchtungen als Hirngespinste erweisen würden.

Man müsste sich nach Kräften gegen diesen Trend stemmen


Das Schlimme daran ist, dass viele die Gefahren sehen oder ahnen, die in dieser Entwicklung lauern, aber dennoch daran mitwirken, dass sie weiterläuft. Dabei wäre es nötig, sich nach Kräften gegen den Trend zu stemmen, solange es noch geht. Besonders für Medienmacher wäre das wichtig.

Gisbert Mrozek (gim/.rufo/Moskau)




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