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Ganz dick aufgetragen: 1913 leistete sich Kunst & Albers in Chabarowsk diesen Messepavillon (Foto: Archiv Deeg/.rufo)
Ganz dick aufgetragen: 1913 leistete sich Kunst & Albers in Chabarowsk diesen Messepavillon (Foto: Archiv Deeg/.rufo)
Freitag, 17.06.2011

Ab 1914: Spionagevorwürfe gegen Kunst und Albers (II)

Von Lothar Deeg. Nach 50 Jahren Aufstieg wird der Erste Weltkrieg zur Katastrophe für das Unternehmen in Russisch-Fernost. Ein Konkurrent zettelt eine Intrige an: Kunst & Albers werden als deutsche Spione gebrandmarkt.

Zu Teil I der Firmengeschichte von Kunst & Albers

Parallel mit dem Eisenbahn-Bau expandierte auch die Firma ins Hinterland an Amur und Ussuri sowie in die russisch dominierte Mandschurei. 1914 verfügte Kunst & Albers über 32 Niederlassungen, vom kleinen Dorfladen bis zum prächtigen Blagoweschtschensker Kaufhaus, wohin jeden Winter per Karawane frische Nürnberger Lebkuchen und die letzte Pariser Mode geliefert wurden.

Der damalige Russland-Baedeker empfahl für Reisen durch Ostsibirien, größere Summen nicht in bar mitzunehmen, sondern "in Anweisungen auf das Handelshaus Kunst & Albers (Hauptgeschäft in Wladiwostok, Zweiggeschäft in Hamburg)."

Fotogalerie (Foto anklicken)
„Kunst und Albers“: Hamburger Kaufhauskönige in Wladiwostok

Orientalische Prachtentfaltung in Chabarowsk


Zur ersten Messe des sich schnell entwickelnden Pionierlandes in Chabarowsk errichtete das Unternehmen 1913 einen Messepavillon, der mehr einem Märchenschloss eines orientalischen Potentaten glich. Kunst & Albers präsentierte dort Lokomobile und Dreschmaschinen von Lanz aus Mannheim, Eisenwaren, Waffen, Fahrräder, Pelzbekleidung, Pferdegeschirre, Schmieröle, Seifen, Büroartikel und ganze Türme aus Kondensmilchdosen.

Gustav Kunst hatte sich ab 1898 auszahlen lassen und genoss sein Leben nun auf Hawaii und Samoa. Adolph Dattan, inzwischen neben Albers zum 50prozentigen Teilhaber aufgestiegen, wurde im Januar 1914 aufgrund seiner Verdienste um die Entwicklung des Priamur-Gebietes vom Zaren in den russischen Adel erhoben.

Die Katastrophe: Krieg zwischen Deutschland und Russland


Doch schon ein halbes Jahr später brach eine Katastrophe über Dattan und die Firma herein: Abrupt beendete der Krieg den profitablen Handel zwischen Deutschland und Russland.

Tschurin & Co., ein russisches Konkurrenz-Unternehmen, nutzte die anti-deutsche Stimmung zu einer kaum glaublichen Verleumdungskampagne gegen Kunst & Albers: In vielen Zeitungsartikeln und in dem 1915 erschienenen Roman "Leise Eroberer" wurde der Firma unterstellt, in Wahrheit der Deckmantel für ein deutsches Spionage-Netzwerk zu sein.

Publizistische Verleumdungskampagne: Spione!


Autor dieser Machwerke war der in St. Petersburg arbeitende Chemiker und Journalist Anton Ferdinand Ossendowski, der es später als Abenteuer-Schriftsteller noch weltweit zu einigem Erfolg brachte. "Es ist fraglich, ob die Geschichte des Journalismus ein anderes Beispiel eines persönlichen Rachefeldzuges kennt, der brutaler und langfristiger geführt worden wäre als dieser", kommentierte in den 50er Jahren der berühmte Sowjetologe George F. Kennan.

Das Buch zur Geschichte
Lothar Deeg: \"Kunst u. Albers Wladiwostok, Die Geschichte eines deutschen Handelshauses im russischen Fernen Osten (1864-1924)\", 320 S., 1996 (vergriffen). Eine Neuauflage ist in Vorbereitung. 2012 wird das ZDF im Rahmen der Sendereihe „Terra X“ eine Dokumentation über \"Kunst u. Albers\" zeigen.
e-mail an den Verfasser
Ossendowskis Kampagne zeigte schnell Erfolge: Der Senior-Chef Adolph Dattan wurde 1915 unter Spionageverdacht ins Innere Sibiriens verbannt, wo er fünf Jahre lang machtlos den Niedergang seines Unternehmens miterleben musste. Den Junior-Chef Alfred Albers steckte man - sonst undenkbar für einen Mann seiner Stellung - als einfachen Soldaten ins Militär.

Einer der letzten Beschlüsse der zaristischen Regierung betraf die Liquidation von Kunst & Albers. Doch vollstreckt wurde das Todesurteil gegen die Firma nicht mehr - ganz Russland versank nach 1917 in den Wirren von Revolution und Bürgerkrieg.

Staatsrat Dattans Reise im Güterwaggon


Quer durch Sibirien gelang dem 65jährigen Adolph Dattan schließlich im Winter 1919/20 die Rückkehr nach Wladiwostok. Den Großteil der Strecke legte er in einem notdürftig hergerichteten Gütterwaggon zurück. Wie Dattan in seinem packenden Tagebuch berichtet, reisten mit ihm in der "Tepluschka" 16 Personen, darunter ein General und die arrogante Familie eines baltischen Barons.

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Das Unternehmen in Wladiwostok mit seinen "palaisartigen Magazinen" war zu diesem Zeitpunkt nur noch ein Schatten seiner selbst. Fast alle Filialen waren enteignet oder zerstört. Obwohl in der von den Japanern besetzten Stadt Chaos und Kriminalität herrschten, begannen die Eigentümer mit dem Wiederaufbau der Firma.

Kommunisten verdrängen die Firma nach China


Doch 1922 marschierten auch in Wladiwostok die Bolschewiken ein. Unter kommunistischer Herrschaft verblieb dem kapitalistischen Muster-Unternehmen nur noch eine Galgenfrist bis zur vollständigen Enteignung. 1924 beschloss Alfred Albers, das Geschäft in Russland aufzugeben und in China einen Neuanfang zu machen.

Adolph Dattan, der um sein Lebenswerk und seinen friedlichen Lebensabend gebrachte Aufsteiger aus ärmlichen Verhältnissen, starb im gleichen Jahr in seiner Heimatstadt Naumburg. Sein Grab ist dort noch erhalten.

Doch das eigentliche Denkmal für die Firma Kunst & Albers steht in Wladiwostok: Ihr zweiter, 1907 im Jugendstil errichteter Warenhaus-Neubau beherbergt auch heute noch das Kaufhaus GUM der Stadt.



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