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Der Sarkophag von Tschenrobyl ist schon längst undicht und rissig (Foto: ag.ru) |
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Montag, 18.04.2011
Katastrophen-Tourismus boomt rund um TschernobylUlf Mauder, Kiew. Ein Vierteljahrhundert nach dem Tschernobyl-GAU am 26.4.1986 hat Katastrophen-Tourismus Konjunktur. Tausende kommen pro Jahr in die Zone. Die Veranstalter hoffen auf einen besonderen Publikums-Magneten - die Fußball-Europameisterschaft 2012.
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Sein kleines gelbes Strahlenmessgerät hat der Touristenführer Nikolai Fomin in der atomaren Sperrzone Tschernobyl immer bei sich. Der 24-jährige Ukrainer sieht in seinem Tarnanzug eher wie Soldat aus.
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"Lesen Sie Sicherheitsregeln aufmerksam und unterschreiben Sie", sagt Fomin, bevor er seine Reisegruppe im Bus durch das radioaktiv verseuchte Gebiet begleitet. Dass mit dem Segen der ukrainischen Regierung 25 Jahre nach dem bisher folgenschwersten Atomunfall nun eine Art Massentourismus einsetzt, sieht er gelassen.
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"An einem Tag hier in der Sperrzone, da nehmen Sie dieselbe Strahlung auf, wie bei einem Transatlantikflug zwischen Europa und den USA", antwortet Fomin denen, die solche Reisen skeptisch sehen.
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Leben in der verstrahlten Sperrzone
Außerhalb des engen Sektors unmittelbar um das Atomkraftwerk leben in anderen Teilen der 30 Kilometer großen Sperrzone noch Menschen - überwiegend Rentner. Sie sind nach 1986 trotz aller Verbote und Warnungen zurückgekehrt und wurden schliesslich geduldet. Überall in der Zone zerfallen verlassene Häuser im Dickicht der Bäume. Immer wieder gibt es gelbe Warnschilder für radioaktive Strahlung.
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Als der Reaktor 4 des AKW am 26. April 1986 in die Luft flog, war Fomin zwar noch nicht einmal geboren. Dennoch hat der Mitarbeiter von "Tschernobyl-InterInform", wie der Betrieb mit den 16 Mitarbeitern heißt, allerhand gelesen und sich mit einigen der fast 8000 hier noch arbeitenden oder lebenden Menschen unterhalten.
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Katastrophentourismus zur Aufklärung?
"Wir wollen über das Unglück und die Geschichte von Tschernobyl hautnah aufklären", sagt Fomin vor dem Reaktor. Der Koloss ist nur notdürftig mit einem inzwischen rissigen Schutzmantel aus Stahl und Beton geschützt und von einer Mauer und Stacheldraht umzäunt.
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Nur wenige Minuten ist der Aufenthalt hier erlaubt, weil die Strahlung weiter extrem hoch und gesundheitsgefährlich ist. Besucher tragen Atemmasken und Handschuhe zum Schutz vor radioaktivem Staub.
In die Sperrzone um das AKW mit insgesamt vier Reaktorblöcken, dessen letzter aktiver Meiler erst 2000 abgeschaltet wurde, kommen nur Besucher mit Sondergenehmigung. Das Wohnen ist hier verboten - wie auch in der früheren sozialistischen Modellstadt Pripjat, rund zwei Kilometer vom Reaktor entfernt.
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Wo 50.000 Menschen wohnten ist eine Geisterstadt geblieben
Die sowjetische Plattenbausiedlung, in der einst 50 000 Menschen - meist junge Familien - lebten, wird noch einmal zusätzlich bewacht. Sie ist bis heute hoch radioaktiv und bleibt wohl für immer eine unbewohnbare Geisterstadt.
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"Viele Familien haben damals hier die besten Lebensbedingungen in der ganzen Sowjetunion gehabt, Kindergärten, Schulen, Freizeitangebote und gefüllte Geschäfte", sagt Fomin. Er spricht mit trauriger Stimme auf dem Festplatz, wo verlassene Karussells Zeugen der Kinderfreuden von einst sind.
Von der ukrainischen Hauptstadt Kiew aus bietet der Reiseunternehmer Arseni Finberg Bustouren in die rund 100 Kilometer weit entfernte Zone an. "Das ist natürlich eine Form von Extremtourismus", sagt der 28-Jährige.
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Extrem-Touristen aus dem Westen zahlen mehr
Das Verhältnis zwischen Gästen aus dem Westen und denen aus der früheren Sowjetunion sei etwa 50:50. Sie zahlen zwischen 500 und 3000 Griwna (45 und 275 Euro) pro Kopf, je nach der Zahl der Reisenden. Die höheren Preise gelten für westliche Touristen, etwa aus Deutschland, den USA und England.
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Finberg beruft sich auf die offizielle Linie des ukrainischen Ministeriums für Katastrophenschutz, dessen Minister Viktor Baloga die Tschernobyl-Touren ausdrücklich als Attraktion empfiehlt. Baloga hatte im vergangenen Herbst angekündigt, den "geordnet organisierten und systematischen Tourismus" zu erlauben. Rund 7000 Menschen besuchen jedes Jahr die Zone, die auch Teile Weißrusslands einschließt.
Ministerium will organisierten und systhematischen Tschernobyl-Tourismus
Die Ukraine will gemeinsam mit Polen im kommenden Jahr die Fußball-Europameisterschaft ausrichten. Aber nicht nur wegen der Euro-2012 und dem Jahrestag habe der Tschernobyl-Tourismus jetzt Konjunktur, sagt Finberg.
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Auch das in der Ukraine beliebte Computerspiel Stalker, bei dem Strahlenmonster in der Sperrzone gejagt werden, sei für viele Menschen Anlass, das reale Katastrophengebiet zu besuchen. Die Nachfrage sei größer als die Zahl der erlaubten Reisen. Aber Monster gibt es hier nicht.
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Dennoch ist etwa im Kiewer Tschernobyl-Museum zu sehen, wie verheerend die Strahlung auf ungeborenes Leben wirkt. Unter den vielen erschütternden Exponaten findet sich eine verstümmelte Fehlgeburt eines Hundewelpen.
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Insgesamt verbreitet die Ausstellung mit ihren vielen Fotos vom menschlichen Leid der Katastrophe eine Stimmung wie in einem Kriegsmuseum. Finberg betont, dass der Besuch hier für interessierte Ukraine-Besucher der erste und wohl wichtigste Ort für die Erinnerung an Tschernobyl sei.
(Ulf Mauder, dpa)
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Paul 18.04.2011 - 18:11
bitte nicht mit Strahlentoten spielen
Ich kenne nur eine Organisation, die systematisch die Gesundheitsfolgen durch Strahlung in Tschernobyl und anderswo systematisch untersucht hat und das heute noch tut:
UNSCEAR, ein internationales Kommite in der Uno, dem auch die betreffenden Länder angehören. Sie Tagen jedes Jahr in Wien.
Es gibt schlicht nichts genaueres (in Englisch).
Beschrieben in dem letzten sehr ausführlichen Report 2008 sind dabei 135 Arbeiter mit AKUTEN Strahlenerkrankungen, wovon in den folgenden 4 Monaten 28 starben.
An CHRONISCHEN Strahlenschäden durch niedrigere Dosierung ist eigentlich nur wirklich erwähnenswert der drastische Anstieg der Zahl der Schilddrüsen-Krebse besonders bei Kindern von denen bis heute 18 Todesfälle berichtet wurden (ist rel. leicht zu operieren). Alles andere ist statistisch eigentlich nicht nachweisbar, vielleicht etwas mehr Leukämie, kaum nachweisbar, mehr Fälle mit Linsentrübung, nicht tödlich, solide Tumoren bis heute Fehlanzeige.
In allen Berichten wird betont dass die Angst vor den Strahlenschäden mehr Unheil angerichtet hat, als die Strahlen selbst.
Deshalb schreibe ich diesen Beitrag.
Ganz besonders ängstlich, jetzt wieder wegen Japan sind Deutsche :-)
paul
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