Mittwoch, 22.09.2010
Brüderle: Krise war für Russland reinigendes GewitterBerlin. Über die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen, ihre gegenwärtige Qualität und über Erwartungen für die Zukunft sprach Konstantin Dalibor für Russland- Aktuell mit Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle.
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R-A: Herr Brüderle, wie schätzen Sie die aktuelle wirtschaftliche Lage Russlands und insbesondere die der russischen Banken ein? In einer Geschäftsklima-Umfrage des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft und der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK) vom Dezember 2009 200 hatten deutsche Firmen in Russland die Situation als überwiegend positiv eingeschätzt.
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Durch die Dürre und Brände in diesem Jahr wiederum wurden nach Angaben der Firma Baring Asset Management in der Russischen Föderation Werte in Höhe von etwa elf Mrd. Euro vernichtet. Hat Russland die Krise schon überstanden?
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Brüderle: In der Tat hat die Wirtschaft Russlands unter der Krise stark gelitten im Jahr-zu-Jahr-Vergleich waren zeitweise Rückgänge des Bruttoinlandsprodukts um bis zu zehn Prozent zu verzeichnen. Aber Krisen haben nicht nur in Russland zuweilen auch die Wirkung reinigender Gewitter: Es ist erneut deutlich geworden, dass die einseitige Ausrichtung auf Rohstoff- und hier vor allem Energieexporte starke Abhängigkeiten schafft.
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Mit 6.000 deutschen Unternehmen gut aufgestellt
Die politisch Verantwortlichen haben erkannt, dass die russische Wirtschaft modernisiert werden muss und sich nicht mehr so stark auf den Rohstoffsektor konzentrieren sollte. Genau hier liegen unsere Chancen: Die deutsche Wirtschaft bietet ein sehr reichhaltiges Spektrum an innovativen Investitionsgütern an, die diesen anspruchsvollen wirtschaftspolitischen Zielen Russlands dienen können. Hinzu kommt, dass wir mit über 6.000 Unternehmen in vielen Regionen des Landes bereits gut aufgestellt sind.
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Für die Umsetzung gemeinsamer Projekte ist immer auch eine solide Finanzierung notwendig. Wir haben die Exportgarantien optimiert und so dazu beigetragen, dass dieses Instrument noch effizienter angewendet werden kann.
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Die russische Regierung ihrerseits hat erhebliche Anstrengungen unternommen, damit das russische Finanz- und Bankensystem der Krise standhält: Keine einzige der namhaften Banken ist zusammengebrochen. Auch der Rubel ist nach einer zeitweiligen Abwertung - nunmehr gegenüber den Leitwährungen Dollar und Euro in etwa wieder auf Vorkrisenniveau.
R-A: In seiner Denkschrift Vorwärts Russland aus dem Jahr 2009 spricht Präsident Medwedew u. a. noch von der primitiven Rohstoffwirtschaft Russlands und kritisiert die chronische Korruption. Schon seit langem wird die Modernisierung und Diversifizierung der russischen Wirtschaft sowie die Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit gefordert. Wie realistisch sind diese Forderungen und in welchen Zeiträumen umsetzbar?
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Brüderle: Die politische Führung Russlands hat erkannt, dass das Land nur dann den Anschluss an die Weltwirtschaft halten kann, wenn es die einseitige Abhängigkeit von Rohstoffexporten überwindet. Russland hat in den letzten Jahren bereits gewaltige Reformen voran gebracht.
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In welchem Zeitraum die weiteren anspruchsvollen Modernisierungspläne Russlands realisiert werden können, wird nicht nur von den eingesetzten Mitteln abhängen. Wichtig ist auch, dass innovationsfreundliche Rahmenbedingungen geschaffen werden.
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R-A: Welche Rückmeldungen erhalten Sie von der AHK und den ca. 6 000 deutschen Firmen in Russland?
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Brüderle: Positiv für das Geschäftsklima ist, dass ein ungebrochen großes Potenzial besteht, unsere Wirtschaftsbeziehungen weiter auszubauen. Dabei sollte das gesamte Territorium Russlands einbezogen werden. Deutsche Unternehmen haben zu Recht sehr früh erkannt, dass Wirtschaft nicht nur in Moskau und St. Petersburg stattfindet selbst wenn dies die Finanzzentren des Landes sind. Sie sind deshalb heute in fast allen Regionen engagiert.
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Maßgeblicher Innovationsschub möglich
Es gibt darunter Regionen mit modernen Administrationen, die den Anliegen einheimischer wie ausländischer Unternehmer sehr offen gegenüber stehen. Der Standortwettbewerb hat also auch hier begonnen. Ärgerlich bleibt neben den in der Frage bereits angesprochenen Problemen die mitunter überbordende Bürokratie.
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Ganz wichtig wird sein, ob es Russland gelingt, die Rahmenbedingungen für kleine und mittelständische Unternehmen attraktiver zu gestalten; diese Unternehmensgruppe ist in Russland immer noch unzureichend entwickelt. Von ihrer Entwicklung könnte jedoch nach meiner Einschätzung ein ganz maßgeblicher Innovationsschub ausgehen.
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R-A: Es gibt eine Vielzahl an Symposien, Wirtschaftstagen, Konferenzen und Dialoge, die die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen thematisieren. Welche sind aus Ihrer Sicht besonders wichtig?
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Brüderle: Eine wichtigen Stellenwert haben die seit nunmehr zwölf Jahren stattfindenden Deutsch-Russischen Regierungskonsultationen: Unsere bilateralen Wirtschaftsbeziehungen nehmen dort einen sehr breiten Raum ein. Bei den jüngsten Konsultationen in Jekaterinburg im Juli dieses Jahres habe ich mich mit meinen russischen Kollegen umfassend austauschen können.
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Mehr Chancen für Mittelständler
Daneben hat sich die Deutsch-Russische Strategische Arbeitsgruppe für Wirtschaft und Finanzen in den zehn Jahren ihres Bestehens zu einem wichtigen Steuerungsorgan unserer Wirtschaftsbeziehungen entwickelt. Unter dem deutschen Ko-Vorsitz von Staatssekretär Dr. Bernd Pfaffenbach begleitet die Strategische Arbeitsgruppe konkrete gemeinsame deutsch-russische Projekte. Sie behandelt aber auch Querschnittsfragen, die von allgemeinem Interesse für deutsche Unternehmen in Russland sind.
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Ich würde mir wünschen, dass in unseren bilateralen Wirtschaftsbeziehungen dem Thema der kleinen und mittelständischen Unternehmen noch mehr Aufmerksamkeit zukäme. Vielleicht kann die für den Herbst geplante Deutsch-Russische Mittelstandskonferenz in Moskau noch mehr Türen für diese Unternehmen öffnen.
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R-A: Nichts bringt Menschen näher zusammen als das Geschäft, hat der russische Präsident Dmitri Medwedew gesagt. Welche Bedeutung hat die deutsch-russische Zusammenarbeit bei der Energieeffizienz?
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Sie haben ja bei den Deutsch-Russischen Regierungskonsultationen zusammen mit dem russischen Energieminister Sergej Schmatko eine Erklärung dazu unterzeichnet. Bitte erläutern Sie, um welche Folgeprojekte es sich dabei handelt, wie hoch das finanzielle Volumen ist, wie der Zeitrahmen gesteckt ist und welche deutschen Firmen daran partizipieren könnten?
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Brüderle: Die Zusammenarbeit mit Russland im Bereich der Energieeffizienz hat für mich eine hohe Bedeutung. Für Russland ist dies ein Kernstück der angestrebten Modernisierung seiner Wirtschaft. Deutsche Unternehmen bieten in diesem Sektor hervorragende Lösungen an, so dass eine enge Kooperation für beide Länder sinnvoll ist. In der gemeinsamen Erklärung, die Sie ansprechen, wurden konkrete Projekte vereinbart:
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Energieeffizienz von großer Bedeutung
Gemeinsam wollen wir die Stromnetzinfrastruktur in Russland modernisieren und deren Effizienz steigern. Außerdem ist geplant, Konzepte für die Modernisierung von Industrieunternehmen und der Kommunalwirtschaft zu erarbeiten. Ein Fortbildungsprogramm zum Thema Energieeffizienz im Stromnetz dient dazu, auf der russischen Seite das Bewusstsein für Energieeffizienz zu schärfen und intensiven Kontakt mit deutschen Unternehmen aus diesem Sektor aufzubauen.
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Die Gesamtkoordinierung dieser Projekte für die deutsche Seite liegt bei der Deutschen Energie-Agentur (dena), die als Gesellschafterin der Deutsch-Russischen Energieagentur rudea hierfür prädestiniert ist. In enger Kooperation mit großen deutschen Industrieunternehmen wie z.B. BASF, Siemens, E.ON, Viessmann, der Scholze Gruppe, Osram oder der Imtech AG sollen die Projekte bis Ende 2011 umgesetzt werden.
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Auch beim Thema Energieeffizienz im Bauwesen wollen wir eng zusammenarbeiten. Hierzu haben wir im Juli 2010 das Kompetenz-Zentrum für energieeffizientes Bauen in Jekaterinburg gegründet. Es soll innovative Energiestandards und Umsetzungsmodelle mit Vorbildcharakter realisieren.
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Weiterhin wurde im Rahmen der Regierungskonsultationen ein strukturierter Dialog zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Ministerium für Energiewirtschaft der Russischen Föderation vereinbart.
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Ziel ist es, russische föderale und regionale Entscheidungsträger zu beraten, wie geeignete gesetzliche und förderrechtliche Rahmenbedingungen z.B. für die Nutzung von Kraft-Wärme-Koppelung, Energiedienstleistungen und Energie-Contracting geschaffen werden können. Dieser Dialog wird sich sicher über mehrere Jahre erstrecken.
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R-A: Der Energietransit und die Diversifizierung der Gaslieferwege und -länder sind Dauerthemen. Die Ostsee-Pipeline North Stream und der South Stream durch das Schwarze Meer sollen ab 2011 bzw. 2015 russisches Gas nach Europa transportieren.
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In die Alternativpipeline Nabucco, die durch die Türkei nach Europa führen und frühestens 2018 einsatzbereit sein soll, wird dagegen zentralasiatisches Gas eingespeist. Nicht nur in Polen, Weißrussland, der Ukraine und Georgien wecken die neuen Lieferwege gemischte Gefühle. Sehen Sie wirtschaftspolitische Verwerfungen?
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Brüderle: Aufgrund der rückläufigen Gasproduktion in den EU-Staaten wird Europa in Zukunft vermehrt Gas importieren müssen. Die geplanten bzw. im Bau befindlichen Pipelineprojekte tragen diesem Umstand Rechnung. Sie sind nicht gegen bestehende Transportwege gerichtet, sondern sollen die zukünftige Versorgungssicherheit Europas gewährleisten. Dies ist zum Vorteil aller. Daher sehe ich auch keine Verwerfungen.
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R-A: Was loben oder bemängeln russische Investoren in der Bundesrepublik?
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Brüderle: Diese Frage müsste man russischen Investoren stellen. Insgesamt bin ich zuversichtlich, dass Deutschland ein attraktiver Standort für russische und andere ausländische Investoren ist. So hören wir oft lobende Worte zur gut funktionierenden, bürgerfreundlichen Verwaltung, zum hohen Ausbildungsniveau oder zur entwickelten Infrastruktur.
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R-A: Seit kurzem gibt es eine Zollunion zwischen Weißrussland, Russland und Kasachstan. Bis 2012 ist die Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsraumes zwischen diesen drei Ländern geplant. Wie wirkt sich das für die deutsche Wirtschaft aus?
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Brüderle: Zunächst ist es eine Entscheidung dieser drei Länder, ihre regionale Zusammenarbeit auszubauen und in diesem Zusammenhang auch Zölle abzubauen. Jede Liberalisierung von Wirtschaftsverkehr begrüße ich. Ich gehe davon aus, dass sich größere gemeinsame Märkte entwickeln werden, wenn diese Entwicklung erfolgreich verläuft.
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Damit das positive Potenzial der Zollunion ausgeschöpft werden kann, ist es wichtig, dass alle Marktteilnehmer gerade in der Übergangsphase auf das neue Regime schnell Klarheit über eventuelle Änderungen in den bislang geltenden Vorschriften erhalten.
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Zudem baue ich darauf, dass die neue Dynamik im WTO-Beitrittprozess Russlands aufrecht erhalten bleibt. Die regionale wirtschaftliche Integration innerhalb der Zollunion sollte nicht der fortschreitenden Integration Russlands in die Weltwirtschaft entgegen stehen.
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R-A: Der Automobilsektor ist auch für diese Integration eine Schlüsselindustrie. Russland hat 2010 ebenfalls eine Abwrackprämie für russische PKW eingeführt. VW produziert Fahrzeuge in Kaluga ebenso wie das Gemeinschaftsunternehmen Citroen, Peugeot und Mitsubishi.
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Renault ist Partner von AvtoVAZ in Togliatti, Toyota und Ford produzieren bei St. Petersburg, BMW montiert in Kaliningrad und die Daimler AG hat mit Kamaz ein Joint Venture in Nabereschnyje Tschelny. 2009 wäre es zwischen Opel, GAZ, der Sberbank und Magna Steyr fast zu einem gemeinsamen Leuchtturmprojekt gekommen. Woran ist es gescheitert und wie war Ihre Position?
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Brüderle: Im vergangenen Jahr hatte Magna Interesse daran gezeigt, die Adam Opel GmbH zu übernehmen. Ein zentraler Baustein deren zukünftigen Geschäftskonzeptes für Opel war eine enge Zusammenarbeit mit Russland. Daher sollte auch die Sberbank in die Finanzierung eingebunden werden. Das Projekt scheiterte aber letztendlich an dem Entschluss von General Motors, Opel doch nicht zu verkaufen, sondern in Eigenregie zu restrukturieren.
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R-A: Die Lage bei den früheren Wadan-Werften in Mecklenburg-Vorpommern, die sich in russischem Besitz befinden, war auch ein Thema bei Ihren Gesprächen in Moskau. Wie ist dort aktuell die Situation?
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Brüderle: Die heute unter dem Namen Nordic Yards bekannten früheren Wadan-Werften sind modern und leistungsfähig. Nordic Yards besitzt Stärken im Bau von Spezialschiffen. Das zeigen der derzeitige Bau der zweiten und weltweit größten Passagier- und Frachtfähre für die Stena Line oder der Bau eines weiteren eisgängigen Tankers für den russischen Konzern Norilsk Nickel.
Zuletzt konnte die Werft einen Auftrag zum Bau einer Offshore-Plattform für einen Windpark von Siemens akquirieren.
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Die Werft braucht aber mehr Aufträge, um Beschäftigung an den beiden Standorten in Wismar und Warnemünde dauerhaft zu sichern. Weitere Aufträge werden aus der Offshore-Windbranche erwartet. Außerdem besteht die Hoffnung, dass zusätzliche Aufträge aus Russland kommen.
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